Einfluss von Medikamenten auf die Leistung beim Schachspiel

Studie der Universitätsmedizin Mainz untersucht Hirndoping bei Schachspielern

Bildquelle: Fotolia/Anzebizjan

Wie werden hochkomplexe Gedankenprozesse durch die Einnahme von pharmakologischen Substanzen verändert? Ist es möglich, diese Prozesse durch Substanzen wie Methylphenidat oder Modafinil zu verbessern oder schwächen sie nicht gerade das kreative und hoch-konzentrierte Denken? Diese und andere Fragen haben Wissenschaftler der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz in einer randomisierten Placebo-kontrollierten, doppelblinden Studie untersucht. Die Forscher gelangten zu folgendem überraschenden Ergebnis: Leistungsstarke, Turniere spielende Schachspieler können ihre dafür erforderlichen hochkomplexen kognitiven Fähigkeiten durch die Einnahme der Substanzen verbessern und damit mehr Schachpartien gewinnen – es sei denn, sie stehen unter Zeitdruck. Die Studienergebnisse sind nun in der Onlineausgabe der Fachzeitschrift European Neuropsychopharmacology veröffentlicht.

Schach – eine Sportart, die hohe Konzentration sowie viel Kreativität erfordert und geistig sehr anstrengend ist. Die Dauer einer Partie beträgt zwischen fünf und 60 Minuten beim Blitz- bzw. Schnellschach und bis zu acht Stunden im normalen Schach. Während eines Turniers bzw. eines Spiels lässt auch bei den besten Spielern die Leistungsfähigkeit zwischenzeitlich nach. Folglich unterlaufen ihnen Fehler. Lässt sich dieser Prozess vermeiden oder zumindest verringern – und zwar so, dass die für das Schachspiel so wichtigen Komponenten Wachsamkeit, Konzentration, strategisches Denken, Kreativität, Geduld und Zeit ausbalanciert sind? Ja, mit alten und bewährten Methoden: Schlaf, Ernährung, Bewegung. Auch moderne Spitzenspieler wie Magnus Carlsen greifen auf diese zurück. Doch würden auch moderne Methoden wie das oftmals als „Hirndoping“ bezeichnete medikamentöse Neuroenhancement ihn beim Schachspiel dazu befähigen, in Balance länger konzentriert zu bleiben? Oder führt die Einnahme solcher Substanzen nicht eher zu einer Schwächung des kreativen und höchst konzentrierten Denkens, das beim Schachspiel erforderlich ist? Eine Frage, die auch sportpolitisch bedeutend ist, denn der Weltschachverband Fide hat den Ehrgeiz, Schach olympisch zu machen, und das geht nur mit Dopingkontrollen. Zudem gilt nach den Statuten des deutschen Innenministeriums Sport nur dann als Sport – und somit als finanziell förderungswürdig – wenn bei den Aktiven Dopingkontrollen erfolgen.

Welchen positiven oder negativen Effekt die kognitiven Enhancer Methylphenidat, Modafinil oder aber auch Koffein auf hochkomplexe kognitive Leistungen haben, untersuchten Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz an Turnier-Schachspielern. Die Leitung der an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz durchgeführten Studie hatten der Klinikdirektor Univ.-Prof. Dr. Klaus Lieb und sein ehemaliger Mainzer Kollege Prof. Dr. Dr. Andreas G. Franke, mittlerweile Dekan der Fakultät für Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung an der Hochschule Neubrandenburg. In ihrer Studie „Methylphenidate, modafinil, and caffeine for cognitive enhancement in chess: a double-blind, randomised controlled trial“ verglichen sie die Auswirkungen verschreibungspflichtiger Arzneimittel (Methylphenidat, Modafinil) mit den Auswirkungen des frei erhältlichen Koffeins. Für ihre Studie wählten die Forscher folgendes Design: In einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Studie erhielten 39 männliche Schachspieler an vier verschiedenen Tagen entweder 2 × 200 mg Modafinil oder 2 × 20 mg Methylphenidat oder 2 × 200 mg Koffein oder Placebos in einem 4 × 4-Crossover-Forschungsdesign. Sie spielten jeden Tag zwanzig 15-minütige Spiele in zwei Sessions gegen ein an die individuelle Stärke der Spieler angepasstes Schachprogramm (Fritz 12). Zudem absolvierten die Probanden neuropsychologische Tests.

Im Verlauf der Studie zeigte sich, dass die Schachspieler, denen zuvor entweder Methylphenidat, Modafinil oder Koffein verabreicht wurde, überraschenderweise mehr Zeit zum Nachdenken über die richtigen Züge benötigten als unter Placebo-Behandlung. Das wiederum führte dazu, dass sie bei Betrachtung aller 3.059 analysierten Partien unter Stimulantien-Behandlung nicht mehr Spiele gewannen als unter der Placebo-Behandlung. Wenn man jedoch nur die 2.876 Partien analysierte, die innerhalb der 15 Minuten auch tatsächlich entschieden wurden, zeigte sich, dass die Probanden unter Methylphenidat und Modafinil, nicht aber unter Koffein, mehr Partien gegen das Schachprogramm gewannen als unter Placebo-Behandlung. Die Wissenschaftler schließen daraus, dass Schachspiel-Leistungen mit Methylphenidat und Modafinil verbessert werden können, wenn die Spieler nicht unter Zeitdruck stehen bzw. in der Lage sind, sich ihre Zeit in den 15-minütigen Kurzpartien gut einzuteilen.

Die Ergebnisse sind für die Wissenschaftler überraschend, da sie damit gerechnet hatten, dass entsprechend der Literatur die pharmakologischen Substanzen eher zu einer Schwächung hochkomplexer kognitiver Prozesse, wie sie auch beim Schachspiel benötigt werden, führen. „Die Ergebnisse zeigen erstmals, dass auch hochkomplexe kognitive Fähigkeiten, wie sie beim Schachspiel nötig sind, durch Stimulantien verbessert werden können. Offenbar sind die Probanden unter Stimulantieneinfluss eher in der Lage, Entscheidungsprozesse vertieft zu reflektieren“, sagt Studienleiter Andreas Franke.

Und Professor Lieb ergänzt: „Die Studie war sehr aufwendig, ist gut kontrolliert und es haben alle 39 Probanden an allen Untersuchungen teilgenommen. Wir haben damit erste Hinweise, dass Doping im Schachsport durch die Stimulantien Methylphenidat und Modafinil möglich ist. Allerdings müssen die Studienergebnisse von anderen Arbeitsgruppen repliziert werden, bevor definitive Aussagen über das Doping-Potential durch Stimulantien im Schachspiel gemacht werden können.“

Wegen der Risiken und Nebenwirkungen – insbesondere bei wiederholter Einnahme, und der für Gesunde nicht erlaubten Einnahme der verschreibungspflichtigen Substanzen sowie aufgrund eines unfairen Verhaltens beim Schachspiel, warnen die Autoren vor der Einnahme der Substanzen. Darüber hinaus fordern sie die entsprechenden Stellen auf, konsequent Schritte für mehr Doping-Kontrollen im professionellen Schachsport zu unternehmen.

Die Studie wurde von der Ethikkommission in Mainz genehmigt (Nr. 837.351.10(7360) und im internationalen Studienregister www.clinicaltrials.gov unter der Nummer NCT01834547 registriert. Sie wurde durch interne Forschungsmittel der Universitätsmedizin Mainz gefördert. Eine finanzielle Unterstützung durch öffentliche Drittmittelgeber oder die pharmazeutische Industrie erfolgte nicht.

Weitere Informationen zur Originalstudie:
Franke, A. G.,et al.,Methylphenidate, modafinil and caffeine for cognitive enhancement in chess: A double- blind, randomized controlled trial. European Neuropsychopharmacology (2017), http://dx.doi.org/10.1016/j.euroneuro.2017.01.006


Kontakt:

Univ.-Prof. Dr. Klaus Lieb,
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, E-Mail:  klaus.lieb@unimedizin-mainz.de

Prof. Dr. Dr. Andreas G. Franke,
Fachbereich Soziale Arbeit, Bildung und Erziehung, Hochschule Neubrandenburg,
E-Mail: franke@hs-nb.de

 

Pressekontakt
Barbara Reinke,
Stabsstelle Unternehmenskommunikation, Universitätsmedizin Mainz,
Telefon 06131 17-7428, Fax 06131 17-3496,
E-Mail:  pr@unimedizin-mainz.de

 

Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.300 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz ausgebildet. Mit rund 7.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Universitätsmedizin zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de