Schlechteres Gedächtnis trotz weniger Plaques: Neue Befunde in der Alzheimer-Forschung

Sind Amyloid-Ablagerungen tatsächlich der Krankheitsauslöser?

 

Für die Alzheimersche Krankheit sind die sogenannten amyloiden Plaques charakteristisch. Lange Zeit galten diese Ablagerungen auch als Ursache für die schweren kognitiven Defizite, mit denen Alzheimer einhergeht. Derzeit mehren sich jedoch die Hinweise, die die Rolle der Ablagerungen als Krankheitsauslöser in Frage stellen. Einer davon kommt aktuell von der Arbeitsgruppe „Biochemie der Neurodegeneration und des Alterns“ um Univ.-Prof. Dr. Christian Behl, Direktor des Instituts für Pathobiochemie der Universitätsmedizin Mainz. Die Mainzer Wissenschaftler konnten in einem spezifischen Mausmodell nachweisen, dass trotz einer reduzierten Plaques-Anzahl die Lern- und Gedächtnisfähigkeit stark beeinträchtigt war. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der amerikanischen Fachzeitschrift „Neurobiology of Aging“ veröffentlicht.

„Im Gehirn von Alzheimer-Patienten finden sich extrazelluläre Ablagerungen von sogenanntem Amyloid beta. Welche Rolle diese Plaques in der Krankheitsentstehung genau haben, erforschen wir seit vielen Jahren“, erläutert Univ.-Prof. Dr. Christian Behl. „ Uns interessiert beispielsweise wie die Entstehung, also die Prozessierung, von Amyloid beta aus seinem Vorläuferprotein APP (Amyloid-Precursor-Protein) abläuft. Das APP scheint im Gehirn wichtige Funktionen zu erfüllen.“

Teil des zentralen Nervensystems ist das sogenannte Endocannabinoidsystem. Dabei handelt es sich um ein vielseitiges Signalsystem im Körper, welches an der Regulierung zahlreicher physiologischer Funktionen, wie beispielsweise Gehirnentwicklung, Gedächtnis und Kontrolle der Motorik beteiligt ist. Cannabinoide weisen neuromodulatorische und neuroprotektive Effekte auf und beeinflussen die Gedächtnisleistung. Der Einfluss des Endocannabinoidsystems auf die Pathologie der Alzheimerschen Krankheit wurde im Rahmen der DFG-Forschergruppe 926 „Physiologie und Pathophysiologie des Endocannabinoidsystems“ in Zusammenarbeit mit Univ.-Prof. Dr. Beat Lutz vom Institut für Physiologische Chemie der Universitätsmedizin Mainz untersucht.

In dem Forschungsprojekt wurden Mäuse, bei denen der Cannabinoid-Rezeptor CB1 ausgeschaltet wurde, mit einem zur Erforschung der Alzheimer Krankheit gängigen Mausmodell gekreuzt. Den Wissenschaflern fiel zunächst auf, dass die Nachkommen, denen CB1 fehlte, ein geringeres Körpergewicht hatten. „Die meisten von ihnen starben, bevor wir die typischen Demenz-Symptome nachweisen konnten. In den verbliebenen Tieren stellten wir im Vergleich zu den Kontrollmäusen geringere Mengen an APP und seinen Fragmenten fest – und folgerichtig auch eine reduzierte Anzahl Plaques sowie eine verminderte Entzündung der entsprechenden Hirnregion“, so Christof Hiebel, der mit seinem Dissertationsprojekt an der Forschungsarbeit beteiligt war. „Die Defizite, was Lernen und Gedächtnis betraf, waren in den Alzheimer-Mäusen ohne CB1 jedoch größer“, erläutert Hiebel.

„Es ist uns in unserem experimentellen System gelungen, ganz klar aufzuzeigen, dass die Belastung mit amyloiden Plaques und der Verlust an kognitiven Fähigkeiten nicht direkt korrelieren“, betont Univ.-Prof. Dr. Christian Behl. „Es ist seit längerem bekannt, dass auch in den Gehirnen gesunder alter Menschen senile Plaques auftreten können. Darüber hinaus werden in den letzten Jahren immer seltener die großen, mikroskopisch sichtbaren Proteinaggregate für den Nervenzelltod verantwortlich gemacht, sondern zunehmend deren Vorstufen, die sogenannten Amyloid beta-Oligomere. Dennoch wurde – meiner Meinung nach – die Rolle von Amyloid beta weiterhin deutlich überbewertet und viele alternative Forschungsansätze fast völlig ausgeblendet“, so Behl weiter.

Der generelle Befund, dass das Ausmaß der Amyloid-Plaques nicht in direktem Zusammenhang mit jenem der kognitiven Defizite steht, hat auch auf bereits bestehende Behandlungs- und Forschungsansätze weitreichenden Einfluss. Beispielsweise ist eine Immunisierung mit Amyloid beta stark in Frage gestellt. Diese Behandlungsmethode wird derzeit als Therapie-Option gehandelt, um die Entwicklung neuritischer Plaques zu verhindern oder gar rückgängig zu machen – und das trotz massiver Rückschläge in klinischen Studien. Ebenso sind Ansätze, die darauf abzielen, die Spaltung von APP gezielt zu beeinflussen, weiter geschwächt.

Behl spricht sich daher für eine Umverteilung der Forschungsressourcen aus: Seiner Ansicht nach wäre es konsequent, die Amyloid-Forschung, auf der jahrzehntelang der Schwerpunkt der Alzheimer-Forschung lag, zurückzufahren. Stattdessen sollte der Fokus auf der Entwicklung neuer therapeutischer Strategien und deren Grundlagen liegen. Seine Arbeitsgruppe im Institut für Pathobiochemie konzentriert sich bereits seit einigen Jahren auf die systematische Untersuchung der molekularen Zusammenhänge zwischen der Biochemie alternder Neuronen und der Neurodegeneration. „Erst wenn wir erfassen, was die grundlegenden molekularen Prozesse in alten und jungen Nervenzellen unterscheidet, werden wir auch die Entstehung altersassoziierter neurodegenerativer Erkrankungen verstehen können“, ist Prof. Behl überzeugt.

In der zweiten Förderperiode der DFG-Forschergruppe wird nun der regulatorische Einfluss des Cannabinoid-Rezeptors auf die Prozessierung des Amyloid-Vorläuferproteins APP weiter untersucht. Dies insbesondere auch, weil die jetzt veröffentlichten Resultate nahelegen, dass ein beeinträchtigtes Endocannabinoidsystem die kognitiven Defizite in Alzheimer-Patienten verstärken kann.

 

Publikation
Stumm C, Hiebel C, Hanstein R, Purrio M, Nagel H, Conrad A, Lutz B, Behl C, Clement AB. Cannabinoid receptor 1 deficiency in a mouse model of Alzheimer's disease leads to enhanced cognitive impairment despite of a reduction in amyloid deposition. Neurobiol Aging. 2013 Jul 6. [Epub ahead of print]

Bildunterschrift: Über eine Immunfärbung gegen Amyloid beta sichtbar gemachter amyloider Plaque (rot). Den Plaque umgeben aktivierte Mikrogliazellen, nachgewiesen zum einen mit dem Farbstoff Tomatolectin-FITC (grün) und zum anderen durch eine Immunreaktion gegen das Markerprotein Iba I (blau). Größenbalken: 20 µM. Bildquelle: Christof Hiebel

Kontakt:        
Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Christian Behl
Direktor des Instituts für Pathobiochemie
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Duesbergweg 6, 55099 Mainz, Telefon  06131 39 25890, Fax 06131 39 25792   
E-Mail:  cbehl@uni-mainz.de
www.unimedizin-mainz.de/pathobiochemie

Dr. Christine Ziegler
Institut für Pathobiochemie
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Telefon 06131 39 24552, E-Mail: christine.ziegler@uni-mainz.de

 

Pressekontakt
Barbara Reinke,
Stabstelle Kommunikation und Presse Universitätsmedizin Mainz,
Telefon 06131 17-7428, Fax 06131 17-3496,
E-Mail: pr@unimedizin-mainz.de

 

 

Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige Einrichtung dieser Art in Rheinland-Pfalz. Mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen sowie zwei Einrichtungen der medizinischen Zentralversorgung – die Apotheke und die Transfusionszentrale – gehören zur Universitätsmedizin Mainz. Mit der Krankenversorgung untrennbar verbunden sind Forschung und Lehre. Rund 3.500 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz kontinuierlich ausgebildet. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de