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Modellierung von Mechanismen und physiologischen Surrogaten des Alterns

Dr. Florian Fischer

Hintergrund

Das menschliche Gehirn ist auf jeder zeitlich-räumlichen Skala die komplexeste kompakte Struktur im bekannten Universum. Es ist daher nicht überraschend, dass viele makroskopische Metriken seiner Funktion Merkmale aufweisen, die intuitiv Assoziationen mit Eigenschaften der Phasenraumbahnen hervorrufen, die für komplexe dynamische Systeme typisch sind, wie die Anziehung stabiler Zustände und vorhersagbarer periodischer Schwingungen. Die zugrundeliegende Komplexität der veränderlichen Elemente des Gehirns und ihre ebenfalls veränderlichen Wechselwirkungen über verschiedene Skalen, von molekularen bis hin zu makroskopischen, machen die Verbindung neuropsychologischer Phänomene mit der relativ begrenzten Anzahl der (in vivo) messbaren strukturellen und funktionellen Merkmale des Gehirns zu einer gewaltigen Aufgabe. Noch komplizierter wird die Situation durch die auffälligen homöodynamischen Eigenschaften des Gehirns, die sich in zahlreichen dokumentierten Fällen der funktionellen Erholung und Anpassung nach exo- und endogenen strukturellen oder funktionellen Anfällen zeigen, wie mechanisch induzierte Läsionen, hämorrhagische Anfälle und altersbedingte Formen der Neurodegeneration.

Die rasche Entwicklung der in-vivo-Bildgebung des Gehirns in den letzten Jahrzehnten hat zur erfolgreichen Identifizierung vieler struktureller und funktioneller Merkmale des Gehirns geführt, die mit verschiedenen neuropsychologischen Ergebnismessungen zur Quantifizierung der kognitiven Funktion und Dysfunktion verbunden sind. Die zugrundeliegende Komplexität des Gehirns, wie sie oben beschrieben wurde, ist jedoch ein sehr wahrscheinlicher Grund für den unbefriedigenden prädiktiven Wert isolierter Hirnmerkmale für die kognitive Funktion in dynamischen Situationen, wie z.B. die laufende Anpassung an verschiedene Formen der Neuropathologie. Ebenso sind die mechanistischen Rückschlüsse, die aus traditionell reduktionistischen Ansätzen in dynamischen Situationen gezogen werden können, relativ begrenzt.

Forschungsschwerpunkt

Dies ist insbesondere bei der Alterung und den damit verbundenen neurodegenerativen Erkrankungen der Fall. Ältere Menschen sind typischerweise von verschiedenen, manchmal unassoziierten Formen der Neuropathologie betroffen und mit zunehmendem Alter noch heterogener, was sich individuell oft nicht linear in der kognitiven Funktion widerspiegelt. Am prominentesten sind Neuropathologien wie Beta-Amyloid-Ablagerungen und Atrophie der grauen Substanz, die bei der großen Mehrheit der Alzheimer-Patienten vorkommen, auch bei einem großen Teil der kognitiv gesunden älteren Menschen zu finden. Die Reaktion des Feldes auf diesen rätselhaften Befund war zweifach. Erstens wurde die Notwendigkeit erkannt und als Resilienz oder kognitive Reserve konzeptualisiert, Hirnmerkmale jenseits der gegenwärtigen Neuropathologie als mögliche kompensatorische Gegenmittel zu den Auswirkungen der Neuropathologie einzubeziehen, und damit die oben ausgearbeitete vermutete Dynamik anerkannt. Zweitens wurde die Dimensionalität der gewonnenen Daten von der molekularen über die mikrostrukturelle, morphologische und funktionelle Bildgebung bis hin zu lebensstilbedingten Faktoren oder anderen altersbedingten Komorbiditäten wie Diabetes mellitus oder Bluthochdruck enorm gesteigert, um potenziell relevante Maße der Resilienz oder Pathologie zu identifizieren. Obwohl dieser Ansatz zweifellos notwendig ist, zeigt er jedoch zwei inhärente Probleme auf. Erstens wird in vielen Modellen eine implizite oder explizite lineare Interaktion der gemessenen Hirnmerkmale vermutet. Zweitens verschärfen die gewonnenen Daten den so genannten "Fluch der Dimensionalität", der besagt, dass die Anzahl der Stichproben, die zur kontinuierlichen Abbildung des Parameterraums erforderlich sind, mit der Anzahl der Dimensionen exponentiell zunimmt. Aufgrund logistischer und finanzieller Zwänge ist die Anzahl der verfügbaren Datenstichproben im Vergleich zu den verfügbaren Messungen noch immer stark begrenzt.

Methoden

Beide Fragen können jedoch unter Verwendung der jüngsten Fortschritte in der Informatik sowie der etablierten mathematischen Methodik wirksam angegangen werden. Angesichts der vermutlich komplexen und/oder nichtlinearen Strukturierung der Daten können lineare statistische Methoden allein aufgrund ihrer Beschränkungen hinsichtlich der Datenverteilung, der Leistung und der Art der modellierten Assoziationen ein eher unwirksames Instrument zur Identifizierung relevanter Zusammenhänge sein. Im Gegensatz dazu bietet die Informatik eine Reihe von Methoden des maschinellen Lernens an, die viel weniger durch Annahmen über die Datenverteilung und die Art ihrer Strukturierung eingeschränkt sind, vom einfachen Clustering bis hin zum Tiefenlernen. Somit können diese Methoden zur Lösung des ersten oben genannten Problems zur vorherigen freien Entdeckung komplexer Muster in den Daten verwendet werden, die dazu beitragen können, Hypothesen über die zugrunde liegenden Mechanismen zu bilden oder anzupassen, die aus explorativen visuellen oder parametrischen statistischen Analysen nicht ersichtlich sind. Sie wurden auch erfolgreich eingesetzt, um die Vorhersage des kognitiven Status bei der Alzheimer-Krankheit auf der Grundlage multimodaler Neuroimaging-Daten zu verbessern, wenn auch mit begrenztem Erfolg. Unter der Annahme, dass die verfügbaren Daten die Informationen enthalten, die für zufriedenstellend genaue Vorhersagen benötigt werden, ist eine wahrscheinliche Erklärung für dieses Defizit, dass viele Methoden des maschinellen Lernens auch bei der Untersuchung spärlicher Daten stark eingeschränkt sind. Um dieses zweite der beiden oben genannten Probleme anzugehen, kann man eine Kombination aus der großen Menge an Wissen aus früheren Untersuchungen, die sich auf die Struktur innerhalb der verfügbaren Daten beziehen, und dem enormen Bestand an Modellierungswerkzeugen, die von der Informatik und der Mathematik bereitgestellt werden, nutzen und dabei effektiv eine fundierte Dimensionalitätsreduktion anwenden. Diese Methode wurde bisher von erstaunlich wenigen Forschungsgruppen angewandt. Diejenigen, die dies taten, zeigten jedoch erstaunliche Ergebnisse: z.B. konnten Raj et al. in jüngerer Zeit zeigen, dass die eigensystemische Zersetzung eines molekularen Diffusionskrankheitsmodells, das aus strukturellen Konnektivitätsnetzwerken aufgebaut ist, den Prävalenzraten und zeitlich-räumlichen Atrophiemustern der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen entspricht. Unverblümt ausgedrückt bedeutet dies, dass eine relationale Struktur innerhalb der Bilddaten (das rekonstruierte Netzwerk der weissen Substanz) eine breite Palette von bisher unerklärlichen zeitlich-räumlichen neuropathologischen Verteilungen unter einem sehr einfachen und abstrakten Krankheitsdiffusionsprozessmodell erklärt!

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Analyse der sehr hochdimensionalen verfügbaren bildgebenden und nicht-bildgebenden Daten, die sich auf das Gehirn und andere für die kognitive Funktion relevante Faktoren beziehen, aufgrund ihrer Seltenheit und ihrer ausgeprägten hochgradig nichtlinearen Strukturierung äußerst schwierig ist. Eine Kombination maßgeschneiderter Methoden des maschinellen Lernens zur Mustererkennung und informierten Modellierung der zugrundeliegenden Mechanismen scheint von größter Wichtigkeit zu sein, um die Vorhersage des kognitiven Status erfolgreich zu verbessern und überprüfbare Hypothesen über die zugrundeliegenden Mechanismen zu bilden. Mein persönliches Ziel als Mitglied der Forschungsgruppe ist es dementsprechend, die Anwendung und Anpassung dieser Methoden an die spezifischen Forschungsfragen auf dem Gebiet des Neuroimaging und der Resilienz im Alter zu erleichtern.

Projekte

  • Mechanismen und Modulatoren des kognitiven Trainings gewinnen an Transfer im kognitiv gesunden Altern (AgeGain) - Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Multicenter-Studie (siehe Wolf D et al. (2018), Trials für weitere Details)

Kooperationen

  •  Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaften, Deutsche Sporthochschule Köln (Prof. Dr. A. Mierau)
  • Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, Standort Rostock/Greifswald (Prof. Dr. Stefan Teipel)
  • Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Universität Freiburg (Prof. Dr. H. Binder)