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KOMET-SEU - Nachhaltige Weiterentwicklung von Kompetenzen und Methoden am Beispiel SOPESS als Teil der Schuleingangsuntersuchung

Gefördert vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) (Förderkennzeichen ZMI1-2521FSB101)

Laufzeit: 01.04.2021 bis 30.03.2024

Projekthintergrund

Die Schuleingangsuntersuchung (SEU) gehört zu den Schlüsselaufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) und dient individualmedizinisch der orientierenden Überprüfung des Entwicklungsstandes und der schulrelevanten gesundheitlichen Situation eines Kindes vor der Einschulung. Sie leistet als einzige verpflichtende bevölkerungsbezogene Untersuchung einen wichtigen Beitrag zur individuellen Prävention, indem sie frühzeitig etwaige Unterstützungs- und Förderbedarfe sowie Versorgungslücken identifiziert. Aus bevölkerungsmedizinischer Sicht kann anhand aggregierter SEU-Daten aber auch die kommunale und landesweite Sozial-, Gesundheits- und Bildungsplanung sowie die Gesundheitsberichterstattung (GBE) gezielter und effizienter gestaltet werden.

Im Rahmen der SEU wird das Sozialpädiatrische Entwicklungsscreening SOPESS als normiertes und validiertes Screeninginstrument zur Früherkennung von schulrelevanten Entwicklungsproblemen bzw. –risiken bundesweit genutzt 1,2 . In der Vergangenheit zeigte sich aber, dass die SOPESS-Daten häufig eine zu hohe methodenbedingte Heterogenität aufwiesen, was die Validität und den Nutzen der Daten in Frage stellte. Teilweise waren Datenerfassung, -qualität und -bereitstellung stark eingeschränkt, sodass die Gesundheitsämter keinen oder wenig Nutzen aus diesen Daten ziehen konnten. Potentiale für die regionale Prävention und die überregionale Gesundheitsberichterstattung blieben so ungenutzt. Als Gründe für diese methodenbedingte Heterogenität wurden Unterschiede in der Testanwendung, -durchführung oder -dokumentation angenommen.          

Projektziele

In enger Zusammenarbeit mit den Kinder- und Jugendgesundheitsdiensten (KJGDs) der Gesundheitsämter wollen wir den ÖGD in der Durchführung, Dokumentation und Erfassung von SOPESS durch eine Weiterentwicklung von Methoden und Kompetenzen unterstützen und bestärken.

Im Rahmen eines nationalen Forschungsnetzwerks wurde ein Maßnahmenpaket entwickelt, das die Untersucherinnen und Untersucher des KJGD in der qualitätsgesicherten Durchführung der SEU und einer praxisrelevanten Nutzung der erhobenen Daten konkret unterstützen soll. Innerhalb des Projekts soll erarbeitet werden,

  • wie die Akteure im ÖGD selbst die methodenbedingte Heterogenität in den SOPESS Daten erfassen und einschätzen können,
  • in welchem Ausmaß und warum sich in der Routine Abweichungen von der Durchführungsanweisung oder Probleme in der Datenerfassung ergeben haben und
  • wie diese durch digitale Anwendungen und Schulungsmaßnahmen adressiert werden können.

Um den Erfolg des Projekts zu überprüfen, wird im Rahmen einer abschließenden Evaluation untersucht, 

  • ob das entwickelte Maßnahmenpaket zu einer qualitätsgesicherten Durchführung und Dokumentation des SOPESS und infolgedessen zu einer Verringerung der methodenbedingten Heterogenität der Daten führt (Effektevaluation) und
  • wie die Reichweite, Akzeptanz, Nutzung, Praxisrelevanz und Implementierungsqualität des eingeführten Maßnahmenpakets einzuschätzen ist (Prozessevaluation).

Begleitet wird das Projekt von einem Experten-Beirat, der sich aus acht Mitgliedern aus Wissenschaft und Praxis zusammensetzt. 

Das Projekt

Bei KOMET-SEU handelt es sich um eine multizentrische Studie, bei der ein neu entwickeltes Maßnahmenpaket dem KJGD des ÖGD zur Verfügung gestellt wird. Nach einer ersten Pilotphase (April – Juni 2023), an der 4 Gesundheitsämter teilgenommen haben, erhalten während der Anwendungshase (Mai 2023 – März 2024) weitere 34 Gesundheitsämter in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz das Maßnahmenpaket.

Für mehr Informationen zum Studienablauf klicken Sie bitte hier (Pdf , 538,3 KB).

Das Maßnahmenpaket

1. Dashboard

Um die Akteure im ÖGD bei deren Analyse der SOPESS-Daten zu unterstützen, wurde ein Prototyp eines digitalen Dashboards mit simulierten Daten für Rheinland-Pfalz entwickelt. Auf einer Karte von Rheinland-Pfalz mit eingezeichneten Kreis-Grenzen wird die methodenbedingte Variabilität von simulierten SOPESS-Daten in einem Ampel-System farbig codiert dargestellt (siehe Abbildung 1). (Rot = starke Heterogenität, umfangreiche Maßnahmen sind angeraten; Orange = mittlere Heterogenität, Maßnahmen sind angeraten; Grün = keine Heterogenität, keine Maßnahmen angeraten). Des Weiteren erhält man die Möglichkeit, sich die Daten in Form von interaktiven Diagrammen und/oder in Tabellen darstellen zu lassen.

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Abbildung 1 Screenshot des Dashboards am Beispiel Rheinland-Pfalz

Der Zugang zum Dashboard ist über eine Benutzername-Passwort-Lösung streng reglementiert. Es gibt zwei Benutzergruppen (Nutzer auf Kreisebene und Nutzer auf Landesebene) mit unterschiedlichen Zugriffsrechten. Nutzer auf Kreisebene können nur die individuellen Daten des eigenen Gesundheitsamts einsehen sowie einen Mittelwert über alle anderen Kreise des Landes. Nutzer auf Landesebene können die individuellen Daten aller Kreise sehen.

Basis für das Ampel-System ist ein Algorithmus, der unter der Leitung von Herr Prof. Dr. Genuneit in Leipzig entwickelt wurde. Anhand von anonymisierten SOPESS-Daten wurde mit Hilfe bayesianischer Statistik in einem komplexen Regressionsmodell ein Heterogenitätsindikator pro SOPESS-Skala und pro Gesundheitsamt modelliert. Nach einer Testung mit Daten aus Nordrhein-Westfalen wurde das Modell vereinfacht, sodass künftig eine barrierefreie Implementierung und Anwendbarkeit auf jedes Bundesland möglich sein sollte.

2. Online-Schulung

Das kooperierende Projektteam aus Hamburg hat unter Leitung von Frau Professorin Dr. Daseking eine Online-Fortbildung entwickelt, deren Inhalt sich eng an den aus vorangegangenen Interviews herausgearbeiteten Bedarfen der Akteure im ÖGD orientiert. Die Fortbildung besteht aus insgesamt acht Modulen (siehe Abbildung 2). 

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Abbildung 2 Screenshot Übersicht Online-Fortbildung (Gesamtbearbeitungsdauer ca. 4 Stunden)

Module 1 bis 3: In Form von Podcasts und Videobeiträgen werden entwicklungspsychologische Themen sowie testtheoretisches Grundlagenwissen besprochen. 

Modul 4: In einem 20-minütigen Video-Tutorial wird die standardisierte Durchführung des SOPESS am Beispiel eines sechsjährigen Jungen demonstriert und die Bewertung der einzelnen Testaufgaben erläutert. Zusätzliche Checklisten und Instruktionskärtchen helfen dabei, die methodische Heterogenität während der Untersuchungssituation zu verringern.

Modul 5: Zwei weitere Lehrvideos erläutern die Bewertung der Visuomotorik I und II. Ergänzt durch Übungsbeispiele können die Bewertung der Aufgaben „LKW ergänzen“ und „Zelt und Pfeil“ anhand von Fallbeispielen konkret eingeübt und mit Beispiellösungen verglichen werden. 

Modul 6: Um die Untersuchung von Kindern mit geringen deutschen Sprachkenntnissen zu unterstützen und zu objektivieren, wurden nonverbale Instruktionskarten entwickelt, die eine weitestgehend sprachfreie Testdurchführung ermöglichen.

Modul 7: Es werden Vorschläge zur Gestaltung von Qualitätszirkeln und einer offenen Fehlerkultur innerhalb der Teams gemacht.

Modul 8: Lexikoneinträge geben Informationen zu vielen Themen rund um die Schuleingangsuntersuchung.

Durch die Online-Fortbildung wird den Kinder- und Jugendgesundheitsdiensten ermöglicht, in einer teamorientierten, mit Daten unterstützten Selbstreflexion mögliche Störquellen und Barrieren selbst zu identifizieren und zu beseitigen. Dadurch wird eine passgenauere kommunale Ressourcenplanung sowie eine verbesserte regionale und überregionale Gesundheitsberichterstattung ermöglicht.

Evaluation und Wirksamkeitsnachweis

Ob sich die Schulungsmaßnahmen für eine bundesweite Einführung eignen, wird von der Konsortialführung in Mainz unter der Leitung von Herr Prof. Dr. Urschitz evaluiert. Die Wirksamkeit des Maßnahmenpakets wird untersucht, indem das Untersuchungsverhalten und die methodenbedingte Heterogenität der SOPESS-Daten vor und nach der Online-Schulung verglichen werden. Zusätzlich werden mithilfe von standardisierten Fragebögen und leitfadengestützten Interviews die Reichweite, Akzeptanz, Nutzung, Zufriedenheit, Praxisrelevanz und Implementierungsqualität der Intervention im Rahmen einer umfangreichen Prozessevaluation untersucht.

Ausblick

Die Ergebnisse des Projektes KOMET-SEU könnten die Grundlage für eine bundesweite Einführung der entwickelten digitalen Tools und Schulungsmaßnahmen legen. Dadurch könnte die Basis für eine erhöhte Validität der SOPESS-Daten, eine praxisorientierte Qualitätssicherung und Datennutzung sowie eine länderübergreifende Vergleichbarkeit der SOPESS-Daten zur Nutzung für eine valide nationale Gesundheitsberichterstattung geschaffen werden. Sollte das Projekt erfolgreich sein, könnten die Schulungsmaßnahmen künftig durch die Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf angeboten werden.

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[1] Daseking, M., et al. (2011). "Vorhersage von schulischen Lernstörungen durch SOPESS." Das Gesundheitswesen 73(10): 650-659.          

[2] Daseking, M., et al. (2011). "Zusammenhang zwischen SOPESS-Ergebnissen und ärztlicher Befundbewertung." Das Gesundheitswesen 73(10): 660-667.