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Lärm macht das Herz krank: Lärmbelastung führt zur Überproduktion herzeigener Hormone und erhöht die Sterblichkeit

Aktuelle Ergebnisse der Gutenberg-Gesundheitsstudie identifizieren herzeigenes Peptid als wichtigen Biomarker zur Diagnose lärmbedingter Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Biodatenbank; Foto: Peter Pulkowski

Dass Umweltbelastungen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Herzinfarkt signifikant erhöhen, ist bereits bekannt. Eine aktuelle Studie des Zentrums für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz unterstreicht nun das Gefahrenpotential von Lärmbelastung und untersuchte deren krankmachenden Ursachen. Im Rahmen der Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS) entdeckten die Wissenschaftler einen auffälligen kardialen Stressmarker, der prognostische Konsequenzen aufweist. Die Forscher aus Mainz identifizierten hierbei das sogenannte mitregionale pro-atriale natriuretische Peptid (MR-proANP) als Verursacher für die stressbedingten Erkrankungen. Das Hormon wird bei Überbelastung vom Herzen vermehrt gebildet. Erhöhte MR-proANP Werte können zu einer stärkeren Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie einer erhöhten Sterblichkeitsrate beitragen.

Experten der EU warnen bereits seit langem neben Schadstoffen in der Luft auch vor Lärmbelästigung. Ein im März 2020 veröffentlichter Bericht der EU-Umweltagentur (EEA) zeigt auf, dass Millionen Menschen gesundheitlich unter Lärm leiden. Mindestens jeder fünfte Europäer ist in seiner Umgebung gesundheitsschädlichem Lärm ausgesetzt. Größter Lärmverursacher dabei ist der Straßenverkehr sowie Fluglärm. Chronische Lärmbelästigungs-reaktionen - ausgelöst durch Verkehrslärm - führen zu Stressreaktionen, die das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck, koronare Herzerkrankung, Herzinfarkt und Schlaganfall begünstigen.

Obwohl zahlreiche Studien diesen Zusammenhang nachgewiesen haben, waren die Ursachen der krankmachenden Wirkung von Lärmstress nach wie vor unklar. Nun konnte das Forschungsteam um Univ.-Prof. Dr. Thomas Münzel, Direktor der Kardiologie I im Zentrum für Kardiologie, und Studienleiter Omar Hahad, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kardiologie I, bei 5000 GHS-Probanden erstmals nachweisen, dass erhöhte Lärmbelästigung, vor allem der nächtliche Flugverkehr, die Blutkonzentration von MR-proANP erhöht. MR-proANP ist ein Hormon, das in Folge von Überbelastung vermehrt vom Herzen selbst gebildet wird. Durch die gefäßerweiternde und wasserausscheidende Wirkung erfüllt MR-proANP eine wichtige Rolle bei der Blutdruckregulation bzw. -senkung und dient damit der Herzentlastung. Etwa 80 Prozent aller Probanden der GHS gaben an, von Lärmbelästigung betroffen zu sein, wobei Flugverkehr bei den Befragten die vorherrschende Quelle der Lärmbelästigung darstellte. 60 Prozent der Betroffenen empfanden sich am Tag sowie etwa 30 Prozent Betroffenen in der Nacht durch Lärm gestört. Fluglärm stelle den höchsten Anteil an extremer Lärmbelästigung dar, gefolgt von Straßenverkehrs- und Nachbarschaftslärm als weitere dominierende Belästigungsquellen. Zudem konnte ermittelt werden, dass erhöhte Konzentrationen von MR-proANP im Blut das Risiko für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in einem 5-Jahreszeitraum signifikant erhöhen. Hierbei wurde ein stärkerer Einfluss der nächtlichen Lärmbelästigung beobachtet; in erster Linie eine Folge von zu kurzem bzw. häufig unterbrochenem Schlaf. Die Forscher ermittelten ein 3-fach erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Herzrhythmusstörungen (Vorhofflimmern) sowie ein fast 50 Prozent höheres Risiko für die Entstehung der oben genannten Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ebenfalls waren erhöhte Konzentrationen von MR-proANP mit einem 36 Prozent höheren Risiko für vorzeitigen Tod assoziiert.

Die Ergebnisse der Studie unterstreichen zahlreiche Untersuchungen, die ein erhöhtes Erkrankungs-Risiko aufgrund von Lärmexposition demonstrieren. Die Autoren der Studie fordern weitere Untersuchungen im Hinblick auf den Risikofaktor Lärm, vor allem aber auch präventive Maßnahmen, um die Bevölkerung vor den negativen gesundheitlichen Auswirkungen des Lärms zu schützen. Diese Maßnahmen können nur durch politische Entscheidungsträger umgesetzt werden, da Patienten und Ärzte wenig Einfluss auf verkehrsbedingte Erscheinungen haben. „Insbesondere auf Grundlage der kürzlich erschienen Lärmrichtlinien der Weltgesundheitsorganisation WHO, in welcher deutlich niedrigere Verkehrslärmpegel am Tag und in der Nacht empfohlen werden, sind Konsequenzen insbesondere auch im Hinblick auf die Ausdehnung des Nachtflugverbots angebracht“, so Professor Dr. Thomas Münzel.

 

Über die Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS)

Die Gutenberg Gesundheitsstudie (GHS) ist eine interdisziplinäre, populationsbasierte, prospektive, monozentrische Kohorten-Studie, die seit 2007 an der Universitätsmedizin Mainz durchgeführt wird. Im Fokus der Studie stehen die Erforschung des Herz-Kreislauf-Systems, aber auch Erkrankungen des Stoffwechsel- und Immunsystems, der Psyche, der Lunge, der Nieren, der Augen, des Gehörs und der Haut sowie die Entstehung von Krebserkrankungen. Hierzu werden Lebensstil, psychosoziale Faktoren, Umwelt, laborchemische Parameter sowie das Ausmaß von subklinischen Erkrankungen berücksichtigt. Eine umfangreiche Biomaterialbank ermöglicht molekularbiologische Untersuchungen. Im Rahmen der Basisuntersuchung wurden rund 15.000 Personen aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt und dem Landkreis Mainz-Bingen im Alter von 35 bis 74 Jahren zu einem fünfstündigen Untersuchungsprogramm in das Studienzentrum eingeladen. Nach 2,5 Jahren fand ein computer-assistiertes Telefoninterview (CATI) mit einem standardisierten Interview sowie einer Erhebung von auftretenden Erkrankungen und Beschwerden statt. Fünf und zehn Jahre nach Einschluss in die Studie stand eine erneute ausführliche Follow-up-Untersuchung der Teilnehmer im Studienzentrum ähnlich der Eingangsuntersuchung auf dem Studienplan. In der zweiten Phase der Studie (seit Mai 2017) waren die Studienteilnehmer zwischen 45 und 84 Jahren alt. Die Erkenntnisse sollen helfen, die medizinische Prävention, Diagnostik und Therapie zu verbessern.

 

Weitere Informationen: 
Originalpublikation: Hahad O, Wild PS, Prochaska, JH, Schulz A, Lackner KJ, Pfeiffer N, Schmidtmann I, Michal M, Beutel M, Daiber A, Münzel T. Midregional pro atrial natriuretic peptide: a novel important biomarker for noise annoyance-induced cardiovascular morbidity and mortality? Clin Res Cardiol (2020).
doi.org/10.1007/s00392-020-01645-6 
Link: link.springer.com/article/10.1007/s00392-020-01645-6

 

Kontakt

Univ.-Prof. Dr. Thomas Münzel
Direktor der Kardiologie I im Zentrum für Kardiologie
Universitätsmedizin Mainz
Telefon 06131 17-5737
E-Mail: tmuenzel@uni-mainz.de

Pressekontakt
Dr. Tasso Enzweiler, Stabsstelle Unternehmenskommunikation,
Universitätsmedizin Mainz,
Tel.: 06131 17-7424, Fax: 06131 17-3496,
E-Mail:  pr@unimedizin-mainz.de

 

Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Rund 3.400 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz ausgebildet. Mit rund 7.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die Universitätsmedizin zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de