Entwicklung von Behandlungsleitlinien in der Katastrophenmedizin

Eschede
Foto: Wordpress - Eschede '98

Hintergrund:

Nationale und internationale medizinische Fachgesellschaften haben in den letzten Jahren eine Vielzahl evidenzbasierter Leitlinien für die Behandlung spezieller Erkrankungs- und Verletzungsmuster erstellt. Diese Leitlinien sind sämtlich für den "Normalfall" der individualmedizinischen Versorgung von Patienten unter der Annahme ausreichender Verfügbarkeit aller notwendigen Ressourcen konzipiert.

Bereits bei einem Grossschadensereignis und erst recht im Katastrophenfall sind die vorliegenden Handlungsempfehlungen aufgrund dann zur Verfügung stehender extrem reduzierter Kapazität in Bezug auf Personal (Ärzte, Pflegekräfte, Rettungsdienst, psychosoziale Betreuung, Notfallseelsorger), Versorgungsmöglichkeit (Räumlichkeiten, OP, apparative und Labor-Diagnostik, Transportkapazität) und medizinischen Bedarf (Medikamente, Material, Geräte) nicht umsetzbar und somit wenig praxisrelevant.

Ziel eines gemeinsamen Forschungsvorhabens der Klinik für Anästhesiologie der Universitätsmedizin Mainz mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ist es,  katastrophenmedizinisch ausgerichtete Behandlungsstrategien zu erarbeiten, die medizinische Anforderungen berücksichtigen und ethischen Ansprüchen von Patienten und Behandlern genügen. Nur durch strukturierte Handlungsempfehlungen kann in katastrophenmedizinischen Schadenslagen eine patienten- und ressourcenorientierte Allokation von Materialien und Medikamenten erreicht werden.

In diesem Zusammenhang sei auf die bewusst stark eingeschränkte Vorratshaltung von Medikamenten im Rahmen des MTF-Konzeptes hingewiesen - die Resultate unseres  nach Förderung durch das BBK erfolgreich abgeschlossenen Forschungsprojektes „Evaluierung des Medikamentenmanagements des MTF-Konzeptes im Rahmen simulierter katastrophenmedizinischer Einsätze“ (FV 389).

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MTF Medikamentenempfehlung FV389
GW San MTF
Foto: BBK - GW SAN MTF

Definition MTF:

Seit den Anschlägen auf das World Trade Center 2001, den Überschwemmungen in Deutschland und den Bombenattentaten von Madrid und London hat sich das Bewusstsein in Bevölkerung und Politik hinsichtlich des möglichen Auftretens von Katastrophen oder Ereignissen im Zivilschutzfall in Deutschland geändert. Gleichzeitig wurde mit einer Umstrukturierung des Bevölkerungsschutzes begonnen. In diesem Rahmen hat das Bundesministerium des Inneren gemeinsam mit den Ländern die Einführung sogenannter Medizinischer Task Forces (MTF) eingeführt. Dafür vorgesehene Fahrzeuge und Material befinden sich gegenwärtig im Beschaffungsprozess, Helfer und Führungskräfte werden ausgebildet.

Die MTF besteht aus mehreren Fahrzeugen, die ärztlich und sanitätsdienstlich besetzt sind. Dieser Verband bietet die Möglichkeit Verletzte zu dekontaminieren, einen Behandlungsplatz (BHP) zu errichten und zu betreiben sowie Patienten zu transportieren. MTFs ergänzen den bestehenden Katastrophenschutz in besonderen Gefahrenlagen (z.B. chemische, biologische, radiologische und nukleare Gefahren) und sollen überregional  zur Unterstützung der Einsatzkräfte vor Ort eingesetzt werden. Da bei katastrophenmedizinischen Schadenslagen (KMS) mit einer beschädigten bzw. überlasteten Infrastruktur (Straßen, Krankenhäuser, etc.) zu rechnen ist, verzögert sich der Transport von Verletzten und Erkrankten in geeignete Versorgungseinrichtungen mit hoher Wahrscheinlichkeit. Es ist deshalb geplant, die MTFs so auszustatten, dass kumulativ 100 Patienten über 48 Stunden präklinisch (autark) versorgt werden können.

Nähere Informationen zur Medizinischen Task Force und zum Katastrophenschutz in Deutschland finden Sie unter: www.bbk.bund.de

Rahmenkonzept Medizinische Task Force (MTF)

Bahn Unfall
Foto: Klinik für Anästhesiologie - Einsatz Zugunfall

Geplante Untersuchung:

Zusammen mit innerklinischen interdisziplinären Experten und Experten aus verschiedenen Fachgesellschaften, möchten wir Behandlungsleitlinien für die häufigsten Erkrankungen und Verletzungsmuster innerhalb einer katastrophenmedizinischen Schadenslage erstellen.

Die im Konsens entstandenen vorläufigen Behandlungsleitlinien sollen mittels Simulationen an verschieden Standorten in Deutschland reevaluiert werden. Durch diese Behandlungspfade für MTF-Einsatzszenarien sollen individualmedizinisch ausgebildete Ärzte/innen und Helfer/innen aller Ebenen (Leitung, Behandlung, Weiterversorgung) angeleitet und geführt werden, verfügbare Ressourcen verantwortungsvoll einzusetzen, um die grösstmögliche Zahl von Patienten zielorientiert versorgen zu können.  

Integraler Bestandteil bei der Betreuung von Schadenslagen hoher Versorgungsstufen ist die psychosoziale Notfallversorgung (PSNV). PSNV ist definiert als Gesamtheit der Strategien, die Einsatzkräften und vom Notfall betroffene Personen (z.B. Patienten, Angehörige, Hinterbliebene, Augenzeugen, Ersthelfer etc.) zur psychosozialen Verarbeitung und Bewältigung  der Situation helfen sollen. In diesem Kontext sollen auch die Behandlungsleitlinien auf eine mögliche Stressentlastung und bessere psychosoziale Verarbeitung seitens aller Helfer überprüft werden. 

Übung
Foto: Klinik für Anästhesiologie - LNA Übung Mainz

Simulationen:

Simulationen sind heutzutage in vielen Bereichen des modernen Lebens nicht mehr weg zu denken. Auch in der Medizin – und hier insbesondere in der Anästhesie – gehört das realitätsnahe Trainieren von Alltags- und Routinesituationen, ebenso wie das richtige Reagieren in zeitkritischen Notfallsituationen mittlerweile zum Standard. Die Klinik für Anästhesiologie der Universitätsmedizin Mainz verfügt zu diesem Zweck über ein modern ausgestattetes Simulationszentrum, an dem sowohl Studierende als auch Ärzte aller Ausbildungsstufen regelmäßig ihre klinischen Fähigkeiten und ihr Notfallmanagement ohne Patientengefährdung in angenehmer Atmosphäre verbessern können.