Historische Entwicklung des Schmerzschwerpunktes am Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz

Der Beginn der Schmerzforschung und Schmerztherapie in Mainz (und in Deutschland) ging vom Fach der Anästhesiologie und von der Person von Prof. Dr. Rudolf Frey aus. Erstmals hielt Frey von Mainz aus im September 1959, anläßlich der Therapie-Woche in Karlsruhe, einen Vortrag zum Thema "Der Schmerz als therapeutisches Problem". Den eigentlichen Anfang der systematischen Mainzer Auseinandersetzung mit schmerzdiagnostischen und -therapeutischen Aspekten kann man auf die Antrittsvorlesung von Prof. Frey als Ordinarius für Anästhesiologie am 04. Mai 1961 mit dem Thema "Neue Wege der Schmerztherapie" datieren.

Im Text dieser Antrittsvorlesung heißt es u.a. "Der Kampf gegen den Schmerz ist im Begriff in ein neues Stadium seiner Entwicklung zu treten. Auch in der Schmerzbekämpfung vor, während und nach Operationen gibt es keinen medikamentösen Ersatz für gute psychische Führung, Vertrauen und Selbstbeherrschung. Es ist ein historischer Verdienst der Johannes Gutenberg-Universität, den ersten Deutschen Lehrstuhl für Anästhesiologie - das heißt für Schmerzbekämpfung - eingerichtet zu haben. Sie hat sich damit zugleich einer historischen Aufgabe gestellt: der Welt zu zeigen, dass auch in Deutschland die Forderungen erfüllt werden können, welche die neu eröffneten Wege der Schmerzbekämpfung und Wiederbelebung ganz allgemein erheben: Höchstleistungen zu erzielen zum Wohle der Kranken, nicht im Macht- und Konkurrenzkampf alle gegen alle, sondern im gemeinsamen kollegialen Ringen, um das Streben nach Wahrheit und Erkenntnis, nach Fortschritt und geistiger Freiheit, nach Universitas und Humanitas."

Schmerztherapie war für Frey von Anfang an ein Anliegen im Rahmen der ärztlichen Fortbildung. Auf dem Fortbildungskongress der Deutschen Bundesapothekerkammer beschrieb Frey im Juni 1966 "Neue Wege der Schmerzbekämpfung und Anästhesie". Im Jahre 1975 publizierten Gerbershagen, Frey et al. einen Artikel im British Journal of Anaesthesia mit dem Titel "The Pain Clinic - An interdisciplinary team approach to the problem of pain", in dem detailliert die essentiellen Voraussetzungen einer effektiven Schmerztherapie unter den Bedingungen einer Schmerzklinik beschrieben und am Beispiel der neu eingerichteten Schmerzklinik in Mainz exemplarisch dargestellt wurden.

Im zusammenfassenden Jahresbericht des Instituts für Anästhesiologie 1959-1968 nahmen diagnostische, prognostische und therapeutische Nervenblockaden zur Schmerztherapie noch einen vergleichsweise geringen Raum ein, ihre Zahl lag zwischen 10 und 75 /Jahr . In den folgenden Jahren stiegen die Zahlen von Patienten kontinuierlich an, die schmerzdiagnostisch und -therapeutisch interdisziplinär beraten und versorgt wurden. Im Bereich der Anästhesiologischen Klinik wurden im Jahre 2000 schließlich

- über 2000 Patienten akut postoperativ schmerztherapeutisch,
- und mehr als 700 chronisch schmerzkranke Patienten betreut.

So kam in Mainz der Klinik für Anästhesiologie eine Vorreiterrolle zu, die weit über den Bereich der Johannes Gutenberg-Universität hinausreichte. Ende der 70er Jahre erfolgte eine zunehmende Beteiligung anderer Institutionen des Klinikums, die ein Interesse an der Therapie von Schmerzkranken hatten. Diese trafen sich regelmäßig in den erfolgreichen Konferenzen der "Interdisziplinären Schmerzkonferenz". Ab den 80er Jahren waren hier vor allem die Anästhesiologische (Proff. Dick, Jage u. OA Schwab), die Neurologische (Proff. Hopf u. Nix), die Orthopädische (Proff. Heine u. Eysel), die Psychosomatische (Proff. Hoffmann u. Egle) Klinik sowie Abteilungen der Zahnklinik (Prof. Fuhr, OÄ Daubländer) der Universität beteiligt. In diesen Konferenzen wird in teilweise ausgesprochen anregenden Diskussionen versucht, pharmakotherapeutische, elektrophysiologische, operative und psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen in einer für den Patienten sinnvollen Komplementarität einzusetzen. In der Radiologischen Klinik (Prof. Thelen, Prof. Kutzner) und später in der Abt. Neuroradiologie (Prof. Stoeter) wurden zunehmend Verfahren zur CT-gesteuerten Schmerzbehandlung erprobt und als Routinebehandlung angewendet. In der Klinik für Nuklearmedizin (Prof. Eißner, Prof. Bartenstein) werden offene Nukleotide für die Behandlung von Schmerzzuständen bei Knochenmetastasen eingesetzt. Weitere Kliniken begannen, sich mit den Implikationen der Schmerztherapie auseinanderzusetzen.

Die Klinik für Anästhesiologie hat seit einigen Jahren die Weiterbildungsbefugnis zum Erwerb der Zusatzbezeichnung "Spezielle Schmerztherapie". Dazu ist auch die Teilnahme an einem 80-stündigen Curriculum nötig, das im Rahmen der Veranstaltungen der Rheinland-Pfälzischen Akademie für Ärztliche Fortbildung von der Psychosomatischen, der Neurologischen und der Anästhesiologischen Klinik organisiert wird.

Eine entscheidende Verbreiterung der grundlagenwissenschaftlichen Forschung stellten die Berufungen auf die Professuren für Neurophysiologie (Prof. Treede 1992) und Nuklearmedizin (Prof. Bartenstein 1998) dar, die mit ausgewiesenen Schmerzforschern besetzt wurden. Auch die jüngste Berufung auf die Professur für Neurologie (Frau Prof. Dieterich) ist in dieser Reihe zu sehen, zumal Frau Dieterich in ihren Berufungsverhandlungen eine weitere Professur für die Neurologie des Schmerzes zugesagt bekam, die ebenfalls mit einem ausgewiesenen Schmerzforscher (Prof. Birklein) besetzt werden soll.

Vorausgegangen war bereits eine Initiative vor allem der Proff. Hopf und Treede, die dem Fachbereich Medizin die Kooperationswünsche in der Forschung für eine Reihe von Institutionen vorgetragen hatten. In der Folge hatte der Fachbereich am 5. 11. 98 beschlossen, einen Forschungsschwerpunkt Neuropathischer Schmerz einzurichten und die Anschlußfinanzierung einer Stiftungsprofessur sowie weiterer Mittelaufwendungen und Laborflächen zugesagt.

Zwischenzeitlich waren eine Reihe von gemeinsamen wissenschaftlichen Projekten beantragt und bewilligt worden, so dass gegenwärtig von den am Mainzer Klinikum und in der Vorklinik tätigen Forschern allein 10 DFG-Projekte, 2 Teilprojekte und eine Reihe weiterer hochrangiger Förderungen eingeworben wurden (s. Anlage).
Die zahlreichen Publikationen seit 1995 zum Thema Schmerzforschung und Schmerztherapie, die im jetzigen und künftigen Umfeld der Johannes Gutenberg-Universität entstanden, finden sich ebenfalls in der Anlage. Sie dürften, zusammen mit den Drittmitteleinwerbungen, wissenschaftlich einen Klinischen Schwerpunkt Schmerz in jeder Weise begründen.

Die klinische Kapazität der an einem Schwerpunkt Schmerz beteiligten Institutionen umfaßt im engeren Sinne mehr als 225 Betten (Anästhesiologie, Neurologie, Nuklearmedizin, Orthopädie, Psychosomatik, Strahlentherapie). In den Betten dieser Kliniken liegen regelmäßig nennenswerte Zahlen von Patienten, deren Leitsymptomatik chronische Schmerzen darstellen. Diese Bettenzahlen würden sich fast verdoppeln, wenn man die Schmerzpatienten in den Kliniken der Chirurgie, Gynäkologie, Neurochirurgie, Onkologie (III. Medizin. Klinik), Unfallchirurgie, und Rheumatologie (I. Medizin. Klinik) hinzurechnete. Es besteht somit keine Frage, dass dem Interesse an einem Klinischen Schwerpunkt Schmerz in Mainz auch eine hohe klinische Repräsentanz entspricht.

Die gegenwärtige Realität des Klinischen und Forschungsschwerpunktes Schmerz an der Mainzer Universität ist somit durch eine lange spezifische Geschichte, eine relevante klinische Versorgungsleistung, eine ausgezeichnet funktionierende Interdisziplinarität sowie durch eine hohe wissenschaftliche Aktivität mit relevanten Drittmitteleinwerbungen gekennzeichnet. Wenige Universitätsklinika in Deutschland können Vergleichbares vorweisen.