Patientenversorgung
Grundlage für die Versorgung chronischer Schmerzpatienten ist heute ein bio-psycho-soziales Schmerzverständnis. Dieses bedingt enge interdisziplinäre Kooperationsstrukturen, da die Diagnosesicherung durch monodisziplinäre Abklärungen meist nicht möglich ist. Eine psychosomatische Abklärung als ultima ratio ist bei chronischen Schmerzpatienten aufgrund der engen Verschränkung von Schmerz und Affekt nicht sinnvoll. Simultandiagnostik und ggf. auch -therapie sind inhaltlich und organisatorisch zu gewährleisten.
Seit nunmehr rund 20 Jahren bestehen am Mainzer Universitätsklinikum solche interdisziplinären Kooperationsstrukturen in Diagnostik und Behandlung chronischer Schmerzpatienten. Wesentlich getragen werden sie vom Bereich Schmerztherapie (Schmerzambulanz) der Klinik für Anästhesiologie, der Neurologischen Klinik, der Psychosomatischen Klinik, der Orthopädischen Klinik, der Schmerzsprechstunde der Zahnklinik sowie der Rheumaambulanz der I. Med. Klinik. Grundprinzip ist dabei, dass dem Patienten nicht vorschnell fachspezifische Auffälligkeiten bzw. Befunde als bedeutsam für seine Schmerzen vermittelt werden, sondern die fachspezifisch erhobenen Befunde im Rahmen regelmäßiger interdisziplinärer Fallbesprechungen gewichtet und daraus ein Gesamtbehandlungskonzept entwickelt wird. Dies betrifft auch die rege Konsiltätigkeit der Schmerzambulanz bei stationären Patienten, die zusätzlich chronische tumor- oder nicht-tumorbedingte Schmerzen haben.
Bei den nicht-tumorbedingten chronischen Schmerzzuständen können fünf nosologische Subgruppen differenziert werden:
- nozizeptiv bzw. neuropathisch determinierte Schmerzzustände (z.B. rheumatische Arthritis, Phantomschmerz, komplexes regionales Schmerzsyndrom der Extremitäten bzw. M. Sudeck)
- nozizeptiv oder neuropathisch determinierte Schmerzzustände mit zusätzlich inadäquaten Schmerzbewältigungsstrategien (z.B. Katastrophisieren, fatalistisches Resignieren, sekundärer Krankheitsgewinn)
- nozizeptive bzw. neuropathische Schmerzsyndrome und gleichzeitig bestehende psychische Komorbidität (z.B. depressive und Angsterkrankung, Persönlichkeitsstörung, Sucht)
- dysfunktionale Schmerzzustände (z.B. Migräne, orofaciales Schmerzdysfunktionssyndrom, Lumboischialgie)
- psychische Erkrankungen mit Leitsymptom Schmerz (z.B. somatoforme Schmerzstörung).
Die häufigste psychische Erkrankung mit Leitsymptom Schmerz ist die somatoforme Schmerzstörung. Bei dieser Erkrankung gilt die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie bundesweit als das Kompetenzzentrum mit entsprechenden Patientenzuweisungen aus ganz Deutschland. Für die Behandlung dieser Patientengruppe besteht auch eine KV-Ermächtigung an der Klinik für Psychosomatische Medizin (trotz Zulassungssperre für Psychotherapeuten in Rheinhessen!). Um die gut funktionierende interdisziplinäre Kooperation noch engmaschiger zu strukturieren, werden z.Zt. (unter Federführung von Prof. Jage/Anästhesiologie und Prof. Egle/Psychosomatik) für die folgenden acht chronischen Schmerzsyndrome diagnostische und therapeutische Algorithmen entwickelt:
- Tumorschmerz
- chronischer LWS-Schmerz
- chronischer HWS-Schmerz
- chronischer Extremitätenschmerz
- primärer Kopfschmerz/chronischer Gesichtsschmerz
- chronisch viszerale Schmerzen
- neuropathischer Schmerz
- psychische Erkrankungen mit Leitsymptom Schmerz
Exemplarisch wurde dies für das chronische LWS-Schmerzsyndrom schon entwickelt (vgl. Abb. 1 und Tab. 1).
Abb. 1: Diagnostischer und therapeutischer Algorithmus bei LWS-Schmerz
