Schüler und Studierende zu Hirndoping bereit
Wissenschaftler der Universitätsmedizin Mainz legen Sachbuch und Studie zu pharmakologischen Neuroenhancement vor
Heute erscheint das Buch „Hirndoping: Warum wir nicht alles schlucken sollten“ von Univ.-Prof. Dr. Klaus Lieb, dem Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz. Es ist das erste deutschsprachige Sachbuch zum Thema pharmakologisches Neuroenhancement bzw. Hirndoping. Auch stellt es die Ergebnisse einer neuen Studie vor, die zum ersten Mal im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung die Bereitschaft und Häufigkeit von Hirndoping bei Schülern und Studierenden erfasst. Dazu haben Prof. Dr. Lieb und Dr. Dr. Andreas G. Franke, Koordinator der Studie, rund 1.500 Schüler und Studierende aus Hessen und Rheinland-Pfalz zu deren Wissen, Einstellungen und Konsumverhalten gegenüber potentiell leistungssteigenden Substanzen befragt. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass auch deutsche Schüler und Studierende zu Hirndoping bereit sind. Zudem gibt das Buch einen fundierten wissenschaftlichen Überblick über die aktuelle medizinische, sozialwissenschaftliche und ethische Diskussion zum Thema.
Seit vielen Jahren diskutieren Experten auch in Deutschland über das Thema pharmakologisches Neuroenhancement bzw. Hirndoping und dessen Auswirkungen, ohne dass es bislang für die Bundesrepublik eine sichere Datenlage gibt. Die Diskussion dreht sich dabei um Möglichkeiten, die eigene geistige Leistung zu steigern. Unter pharmakologischem Neuroenhancement versteht man die Einnahme aller Arten von psychotropen Substanzen durch Gesunde mit dem Ziel Konzentration, Gedächtnis oder Wachheit zu erhöhen. Hirndoping dagegen meint die missbräuchliche Einnahme von rezeptpflichtigen Medikamenten und illegalen Drogen. Dazu zählen vor allem Psychostimulantien, wie zum Beispiel Methylphenidat (Ritalin®), Amphetamine und Modafinil und auch Antidementiva und Antidepressiva, die eigentlich zur Therapie des Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-Syndroms (ADHS), der Alzheimer-Demenz beziehungsweise Depressionen eingesetzt werden.
Mit der aktuell vorgelegten Studie liegen nun erstmals für Deutschland repräsentative Daten zur Häufigkeit von Hirndoping bei Schülern und Studierenden vor. Mittels eines Fragebogens wurden 1.035 Schüler und Schülerinnen von Gymnasien und Berufsschulen in einer Großstadt (Frankfurt am Main) und zwei mittelgroßen Städten (Kaiserslautern, Trier) und 512 Studierende der Johannes Gutenberg-Universität Mainz aus drei verschiedenen Fakultäten (wirtschaftswissenschaftliche, pharmazeutische Fakultät und die Universitätsmedizin) mit Hilfe eines Fragebogens zu ihrem Konsumverhalten potentiell leistungssteigernder Substanzen befragt. Es wurden nur volljährige Schüler in den beiden letzten Klassenstufen und Studierende nach Abschluss eines Vordiploms, Zwischenexamens bzw. Zwischenprüfung befragt. Zusätzlich wurden Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale der Probanden erfasst.
Die Studienergebnisse dokumentieren, dass rund vier Prozent der Teilnehmer bislang mindestens einmal versucht hatten, ihre Konzentration, ihre Aufmerksamkeit oder ihre Wachheit mit Hilfe von legalen oder illegalen Substanzen zu steigern. Dabei gaben die Probanden an, dass häufiger illegal zu erwerbenden Psychostimulantien (Drogen wie Amphetamine, Kokain, Ecstasy) zur geistigen Leistungssteigerung eingenommen wurden als verschreibungspflichtige Psychostimulantien. Bei der Untersuchung stellte sich ebenso heraus, dass an Berufsschulen deutlich häufiger als an Gymnasien auf Medikamente zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit zurückgegriffen wurde, wobei sich kein Unterschied bezüglich der Städtegröße zeigte. Darüber hinaus konsumierten häufiger Männer sowie Schüler und Studierende mit schlechteren Leistungen die Substanzen.
Auf breiter Basis greifen die befragten Schülern und Studierende jedoch auf Koffein zum Zweck des pharmakologischen Neuroenhancements zurück. Über die Hälfte konsumiert regelmäßig Koffein, um Konzentration, Aufmerksamkeit oder Wachheit zu steigen. Jeder Zehnte hat bereits Koffeintabletten probiert, knapp 50 Prozent trinken koffeinhaltige Energy Drinks.
„Die Bereitschaft zur Einnahme potentieller Substanzen zum pharmakologischen Neuroenhancement ist bei Schülern und Studierenden offenbar hoch. Von Entwarnung oder gar einer hinfälligen Debatte zum Thema Hirndoping kann also keine Rede sein. Insbesondere wenn man bedenkt, dass mehr als 80 Prozent der befragten Schüler und Studierende einer leistungssteigernden und frei verfügbaren Pille ohne Nebenwirkungen positiv gegenüber stehen. Lediglich elf Prozent der Schüler und Studierenden lehnen solche Substanzen grundsätzlich ab“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Die Studienergebnisse werden auch in das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Cognitive Enhancement“ des Interdisziplinären Forschungsschwerpunkt Neurowissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz einfließen, das Forschungsanstrengungen in Philosophie (Univ.-Prof. Dr. Thomas Metzinger Philosophisches Seminar Johannes Gutenberg-Universität Mainz), Psychiatrie (Univ.-Prof. Dr. Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychothreapie der Universitätsmedizin Mainz) und Medizinethik (Univ.-Prof. Dr. Norbert Paul, Direktor des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Universitätsmedizin Mainz) bündelt.
Originalveröffentlichung
Klaus Lieb: Hirndoping: Warum wir nicht alles schlucken sollten. Artemis & Winkler, 2010.
Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Klaus Lieb
Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Telefon 06131 17-7336, Fax 06131 229974,
E-Mail: klaus.lieb@ukmainz.de
Internet: www.unimedizin-mainz.de/psychiatrie/
Pressekontakt
Tanja Rolletter, Stabstelle Kommunikation und Presse Universitätsmedizin Mainz, Telefon 06131 17-7424, Fax 06131 17-3496,
E-Mail: pr@unimedizin-mainz.de
Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige Einrichtung dieser Art in Rheinland-Pfalz. Mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen sowie zwei Einrichtungen der medizinischen Zentralversorgung – die Apotheke und die Transfusionszentrale – gehören zur Universitätsmedizin Mainz. Mit der Krankenversorgung untrennbar verbunden sind Forschung und Lehre. Rund 3.500 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz kontinuierlich ausgebildet. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige medizinische Einrichtung der Supramaximalversorgung in Rheinland-Pfalz und ein international anerkannter Wissenschaftsstandort. Sie umfasst mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen, die fächerübergreifend zusammenarbeiten und jährlich rund 340.000 Menschen stationär und ambulant versorgen. Hochspezialisierte Patientenversorgung, Forschung und Lehre bilden in der Universitätsmedizin Mainz eine untrennbare Einheit. Mehr als 3.600 Studierende der Medizin und Zahnmedizin sowie rund 630 Fachkräfte in den verschiedensten Gesundheitsfachberufen, kaufmännischen und technischen Berufen werden hier ausgebildet. Mit rund 8.700 Mitarbeitenden ist die Universitätsmedizin Mainz zudem einer der größten Arbeitgeber der Region und ein wichtiger Wachstums- und Innovationsmotor.
[Stand: 2023]
Abonnieren Sie unsere RSS-Feeds
Aktuelle Meldungen:
www.unimedizin-mainz.de/rss
Aktuelle Stellenanangebote:
www.unimedizin-mainz.de/rss_jobs/rss.xml