Abwehr aus dem Bauch: Darmflora aktiviert das Immunsystem

Mikrobiom spielt eine wichtige Rolle bei der Stimulierung körpereigener Abwehrkräfte

Foto: Peter Pulkowski

Ein Wissenschaftsteam der Universitätsmedizin Mainz belegt in einer aktuellen Studie, wie die Darmflora dazu beiträgt, das komplexe Immunsystem des gesamten Körpers zu aktivieren. Angeregt durch Signale aus der Darmflora schütten spezielle Zellen einen Botenstoff aus, der für eine Grundaktivierung der körpereigenen Abwehrkräfte sorgt. Die Forschungsarbeit aus Mainz zeigt jedoch auch, dass eine Grundaktivierung durch die Darmflora das Risiko von Autoimmunerkrankungen mit sich bringt. Die Arbeit unter Leitung von Dr. Hans Christian Probst wurde in Kooperationen mit den Universitätskliniken in Berlin, Bern, Bonn und Hannover durchgeführt.

Unsere Gesundheit ist zu jedem Zeitpunkt unseres Lebens durch infektiöse Erreger wie Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten gefährdet. Das Immunsystem mit seiner Vielzahl an verschiedenen Zelltypen und Organen schützt uns vor diesen Angriffen. Gleichzeitig ist unser Körper an seinen Grenzflächen zur Außenwelt, den Epithelien, insbesondere an der Darmschleimhaut, dicht mit Mikroorganismen, besiedelt, mit denen wir eine friedliche Koexistenz führen. Seit einiger Zeit mehren sich in der Forschung die Hinweise, dass diese Mikroorganismen sowohl die Bekämpfung von Infektionen und Krebszellen durch das Immunsystem beeinflussen als auch eine Rolle bei Autoimmunerkrankungen spielen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Arbeitsgruppe von Dr. Hans Christian Probst am Institut für Immunologie der Universitätsmedizin Mainz ist es jetzt gelungen, einen wichtigen Signalweg, über den die Darmflora das gesamte Immunsystem beeinflusst, aufzudecken.

Das Forschungsteam um den Immunologen Dr. Hans Christian Probst beschäftigt sich seit Längerem mit den Mechanismen, die die Funktion von dendritischen Zellen kontrollieren. Diese Zellen bilden so etwas wie die Alarmzentrale des Immunsystems. Sie erkennen die Anwesenheit von infektiösen Erregern und lösen die Immunreaktion aus.

Mit ihrer Arbeit konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun nachweisen, dass neben den dendritischen Zellen an den Epithelien in direktem Kontakt zum dort siedelnden Mikrobiom, auch solche in weiter entfernten Organen durch das Mikrobiom aktiviert werden. „Wir haben insbesondere untersucht, wie dendritische Zellen über die Entfernung Signale von der Darmflora an den Epithelien aufnehmen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die sogenannten plasmazytoiden dendritischen Zellen Bestandteile der Darmflora erkennen und darauf mit der Produktion einer geringen Menge von Interferon reagieren“, sagt der Immunologe Dr. Hans Christian Probst von der Universitätsmedizin Mainz. „Diese geringen Menge Interferon, um ein vielfaches geringer als die Menge, die etwa in einer Virusinfektion gebildet wird, versetzen die dendritischen Zellen in einen voraktivierten Zustand“ erklärt Dr. Sabine Muth, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Immunologie der Universitätsmedizin Mainz und Erstautorin der Studie. „Wir waren überrascht, dass diese Voraktivierung absolut notwendig ist, damit dendritische Zellen überhaupt Immunantworten auslösen können. Gleichzeitig haben wir beobachtet, dass diese Voraktivierung der dendritischen Zellen durch Interferon fehlgeleitete Immunreaktionen und Autoimmunität auslösen kann, wenn sie nicht konstant durch Sicherheitsmechanismen des Immunsystems wie regulatorische T-Zellen unterdrückt wird“, so Dr. Sabine Muth weiter.

Die Forschungsarbeit ist Resultat einer mehrjährigen, engen Kooperation des Mainzer Institutes für Immunologie unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Hansjörg Schild, mit der Arbeitsgruppe um den ehemaligen Direktor der Mikrobiologie der Universitätsmedizin Mainz, Prof. Dr. Andreas Diefenbach, Charité in Berlin. Die Berliner Arbeitsgruppe hat insbesondere den Stoffwechsel der dendritischen Zellen untersucht und dabei beobachtet, dass dendritische Zellen, welche kein Interferonsignal erhalten, einen gestörten Zellstoffwechsel zeigen, insbesondere eine verringerte Zellatmung. Dies könnte Ursache dafür sein, dass die dendritischen Zellen in Abwesenheit von den durch das Mikrobiom induzierten Interferonsignalen nicht in der Lage sind, Immunantworten auszulösen.

Weitere zentrale Partner waren Dr. Stefan Lienenklaus und Prof. Urich Kalinke von der Medizinischen Hochschule Hannover sowie Prof. Stephanie Ganal-Vonarburg und Prof. Andrew Macpherson in Bern. Im Rahmen der RNA-Sequenzierungen war die Arbeitsgruppe von Dr. Mir-Farzin Mashreghi, Deutsches Rheuma-Forschungszentrum (DRFZ), Berlin und Dr. Matthias Klein von der NGS Core-Facility des Forschungszentrums Immuntherapie Mainz beteiligt. Metabolische Analysen erfolgten in Zusammenarbeit mit Dr. Christoph Wilhelm vom Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie, Universitätsklinikum Bonn. Gefördert wurde die Studie maßgeblich vom European Research Council (Andreas Diefenbach) und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Andreas Diefenbach, Hans Christian Probst und Hansjörg Schild).

 

Weitere Informationen:

Originalpublikation:
Titel:
Cell; Autoren: Laura Schaupp, Sabine Muth, Leif Rogell,Hansjörg Schild, Andreas Diefenbach und Hans Christian Probst. Microbiota-induced type I interferons instruct a poised basal state of dendritic cells.
Cell 2020 Mai 06.DOI: https://doi.org/10.1016/j.cell.2020.04.022

 

Kontakt
Dr. Hans Christian Probst, Institut für Immunologie der Universitätsmedizin Mainz,
Telefon: 06131 17- 6174, E-Mail: hcprobst@uni-mainz.de

 

Pressekontakt
Dr. Tasso Enzweiler, Unternehmenskommunikation, Universitätsmedizin Mainz,
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