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Epilepsiechirurgie in Mainz

Wer kommt in Frage?
Wenn bei Patienten mit einer fokalen Epilepsie eine medikamentöse Behandlung nicht zu zufrieden stellenden Ergebnissen führt, d.h. dass keine Anfallsfreiheit erreicht werden kann und die weiterhin auftretenden Anfälle zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität führen, sollte geprüft werden, ob ein epilepsiechirurgischer Eingriff möglich ist.

Bevor eine Operation empfohlen werden kann, sind eine Reihe von Fragen zu klären:

  1. Handelt es sich um eine Epilepsie?
  2. Von welcher Stelle oder Region im Gehirn gehen die Anfälle aus?
  3. Liegt eine Veränderung der Gehirnstruktur, z.B. eine Narbe, der Epilepsie zugrunde?
  4. Gibt es doch noch andere Medikamente oder Therapieoptionen, die helfen könnten?
  5. Liegt eine wesentliche Behinderung durch die Anfälle vor?
  6. Wie riskant ist eine Operation und wie hoch ist die Chance auf Anfallsfreiheit?


Diese Fragen müssen bei jedem Patient individuell beantwortet werden. Zur Beantwortung dieser Fragen sind, neben der Anamnese und dem Standard-EEG bzw. Standard-MRT (Kernspintomographie) eine Reihe von speziellen Untersuchungen notwendig. Die Aufgabe der prächirurgischen Epilepsiediagnostik ist es, den Ursprungsort der Anfälle festzustellen und die individuellen Chancen und Risiken eines epilepsiechirurgischen Eingriffs zu ermitteln. Hierzu stehen eine Vielzahl von Untersuchungsmethoden zur Verfügung, im Mittelpunkt der Diagnostik steht jedoch die Aufzeichnung von Anfällen mit dem EEG und dem Video. Nach Abschluss der Untersuchungen werden die erhobenen Befunde ausführlich besprochen, um so den Patienten eine Entscheidung für oder gegen eine Operation zu ermöglichen.

Wann?
Wann ein operativer Eingriff Sinn macht, hängt vom Epilepsie-Syndrom, von den noch bestehenden medikamentösen Behandlungsoptionen, und von einer Nutzen/Risiko Abwägung im Einzelfall ab. Bei manchen Syndromen, wie zum Beispiel der mesialen Temporallappenepilepsie, die vom inneren Schläfenlappen ausgeht, ist bekannt, dass die Chance auf Anfallsfreiheit mit Medikamenten gering und die Chance auf Anfallsfreiheit durch eine Operation relativ hoch ist. In so einem Fall, würde man vermutlich nicht so lange mit einer OP warten. Umgekehrt, wenn ein Anfallsursprung in der Nähe von für die Sprache oder Sehen wichtigen Hirnzentren außerhalb des Schläfenlappens liegt, dann würde man alles versuchen, ohne eine OP auszukommen. Auch die Art der Veränderung des Gehirns, d.h. ob ein Tumor, eine Missbildung, eine Blutung oder eine Verletzung vorliegt spielt eine Rolle.

Welche Untersuchungen sind nötig?
Folgende Untersuchungen werden im Rahmen der prächirurgischen
Epilepsiediagnostik eingesetzt:

  • Anamnese und klinisch neurologischer Untersuchungsbefund
  • Konventionelle Standard Elektroenzephalographie (EEG)
  • Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT)
  • EEG-Video-Monitoring (mit „nicht-invasiven“ Elektroden)
  • Positronen-Emissions-Tomographie (Single-Photonen-Emissions-Computer-Tomographie)
  • Neuropsychologische Testung
  • Wada-Test (intrakarotidaler Amobarbital-Test)
  • Invasive EEG-Diagnostik und Stimulation der Hirnrinde (intra- und extraoperativ mittels „invasiver“ Elektroden)

Am Anfang einer jeden epileptologischen Diagnostik steht eine ausführliche Anamnese, eine möglichst genaue Anfallsschilderung durch den Patienten bzw. Angehörige und die neurologische Untersuchung. Nur wenn sich hieraus sowie eventuell aus der konventionellen Standard-EEG im Anfallsintervall eindeutige Hinweise auf eine möglicherweise operable Epilepsie ergeben, helfen die Zusatzverfahren der Epilepsiediagnostik weiter.

Die prächirurgische Epilepsiediagnostik kann man in zwei Phasen einteilen:
Phase 1
Hochauflösende MRT
Nicht-invasives Video-EEG Monitoring
FDG-PET
Neuropsychologie
       
Phase 2
Iktales SPECT
Invasives EEG-Video-Monitoring

An der Universitätsklinik Mainz konzentriert sich das Angebot auf die Phase 1, die bereits seit Januar 2003 etabliert ist. Diese Untersuchungen reichen bei den meisten Patienten aus, um eine OP Indikation zu stellen und es lässt sich auch die Frage der Operabilität in der Regel beantworten.

Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT)
Das wichtigste sog. „bildgebende“ Verfahren in der prächirurgischen Epilepsiediagnostik ist die Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT). Sie dient zum Nachweis umschriebener Hirngewebsstörungen z.B. einer Hippocampussklerose, gutartigen Tumoren, Gefäßmißbildungen oder lokalen Hirnreifungsstörungen und ist der Röntgen-Computer-Tomographie deutlich überlegen. Die technische Entwicklung auf diesem Gebiet ist enorm und führt zu einer immer besseren Darstellung der Hirnstruktur. Deshalb ist es wichtig, daß möglichst aktuelle Aufnahmen mit hoher Qualität und Bildauflösung für eine genaue anatomische Zuordnung zur Verfügung steht.

An der Universitätsklinik Mainz wird die bildgebende Hirndiagnostik am Institut für Neuroradiologie durchgeführt. Hier steht ein spezialisiertes und erfahrenes Team und alle modernen Methoden der morphologischen Bildgebung zur Verfügung.

Nicht-invasives EEG-Video-Monitoring
„Herzstück“ der prächirurgischen Epilepsie-Diagnostik bildet das nicht invasive EEG-Video-Monitoring. Auf der Grundlage der klinischen, bildgebenden und EEG-Befunde, die vor dem Monitoring erhoben wurden, werden EEG-Elektroden an der Schädeloberfläche mittels eines Klebstoffes (Kollodium) festgeklebt. Zusätzlich zu den Standardpositionen werden über den Hirnregionen, die genauer untersucht werden sollen, Elektroden auf dem halben Abstand (10-10-System) platziert.

Dies ermöglicht eine relativ exakte Lokalisationsbestimmung der epilepsietypischen Potentiale und erfordert EEG-Verstärker mit entsprechend vielen Kanälen (mindestens 32). Unter Reduktion oder Absetzen der bestehenden antiepileptischen Medikation zur Auslösung von typischen Anfällen, werden die Patienten mehrere Tage über 24 Stunden mittels EEG und unter kontinuierlicher Video-Aufzeichnung „beobachtet“, um sowohl Anfälle als auch EEG-Veränderungen im Anfallsintervall zu analysieren. Neben den EEG-Daten liefert die Auswertung des Anfallsablaufes im Video einen wichtigen Beitrag zur Einordnung der Anfallsursprungszone und der Anfallsausbreitung.

Das Video-EEG Labor der Neurologischen Klinik ist in eine der Neurologischen Stationen integriert und umfasst 4 Video-EEG-Monitoring Betten.

Positronen-Emissions-Tomographie (PET)

Die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) mit 18-F-Fluorodesoxy-Glukose (FDG), d.h. radioaktiv makierter Zucker, ist ein bildgebendes Verfahren, bei dem der Hirnstoffwechsel z.B. für Glukose mittels einer flüchtig radioaktiv markierten Substanz untersucht wird. Bei Patienten mit Epilepsie lässt hiermit im Anfallsintervall typischerweise eine Stoffwechselminderung (Hypometabolismus) darstellen, während man im Anfall einen Hypermetabolismus nachweisen kann. Zur Frage ob die Untersuchung während eines Anfalls oder im Intervall erfolgte, muss daher eine simultane EEG-Aufzeichnung während der Untersuchung erfolgen. Durch den Vergleich mit den Ergebnissen von invasiven EEG-Methoden bei Patienten mit Temporallappenepilepsie weiß man, dass die PET im Anfallsintervall (interiktal) Befunde zeigt, die in hohem Maße auf den Anfallsursprung zeigen und so dazu beiträgt, dass man bei einigen dieser Patienten auf eine invasive EEG-Diagnostik verzichten kann (s. unten). Die PET-Untersuchung kann zudem lokalisatorische Information beisteuern z. B. bei Patienten, bei denen eine Zuordnung der Anfälle zu einem Hirnareal wegen eines Fehlens einer umschriebenen Läsion im MRT schwer fällt. Bei Epilepsien außerhalb des Schläffenlappens sind die interiktalen PET Befunde bisher weniger ergiebig.
An der Universitätsklinik Mainz bestehen hervorragende PET und SPECT Kapazitäten an der Klinik für Nuklearmedizin mit der eine enge Zusammenarbeit existiert. Alle Patienten erhalten hier in der ersten Stufe der prächirurgischen Diagnostik eine FDG-PET Untersuchung. Spezielle PET Untersuchungen können zudem bei bestimmten Patienten im Rahmen von wissenschaftlichen Studien durchgeführt werden.

Single-Photonen-Emissions-Computer-Tomographie (SPECT)

Die Single-Photonen-Emissions-Computer-Tomographie (SPECT) mißt mit Hilfe einer ebenfalls leicht radioaktiv markierten Untersuchungssubstanz („Tracer“) den regionalen Blutfluß des Gehirns, der im epileptogenen Areal interiktal vermindert ist. Interiktale SPECT-Befunde sind deutlich weniger zuverlässig als PET-Befunde. Insbesondere unter Verwendung von modernen hoch auflösenden SPECT Geräten scheint die iktale SPECT allerdings eine hohe diagnostische Wertigkeit bei Patienten mit Schläfenlappenepilepsien zu erreichen. Im Anfall (iktal) zeigt sich eine Durchblutungssteigerung (Hyperperfusion) und nach dem Anfall (postiktales) eine Durchblutungsminderung (Hypoperfusion). In der Praxis ist die Durchführung einer solchen Untersuchung oft erschwert, da die leicht radioaktiv markierte Untersuchungssubstanz gleich zu Beginn eines Anfalles gespritzt werden muß. Sonst ist das Untersuchungsergebnis nicht aussagekräftig.
In Mainz sind die Voraussetzungen für iktale SPECT Untersuchungen in Zusammen arbeit mit der Klinik für Nuklearmedizin gegeben.

Neuropsychologie
Durch neuropsychologische Untersuchungen können Hinweise auf funktionelle Defizite liefern, die hirnlokalisatorisch bedeutungsvoll sind. Zum Beispiel kann eine testpsychologisch nachgewiesene Störung der verbalen Gedächtnisleistung Information liefern und auf eine epileptogene Störung in der Sprach-Hemisphäre hinweisen. Die Bedeutung dieser Untersuchung liegt zum anderen darin, eine objektive Einschätzung der Hirnleistung des Patienten zu erhalten. Für die Abschätzung des postoperativen Defizits und zur Beratung des Patienten ist zum Beispiel außerordentlich wichtig, wie hoch das Ausgangsniveau der sprachlichen Gedächtnisleistung ist, da bei einer geplanten Entfernung von Temporallappenanteilen der Sprach-Hemisphäre Einbußen im Sprachgedächtnis auftreten können.

Intrakarotidaler Amobarbital- (Wada)-Test
Bei dem von Dr. Wada schon 1948 eingeführten intrakarotidalen (d.h. „in die Halsschlagader“) Amobarbital-Test wird bei einer Gefässkatheter Untersuchung nach Punktion der großen Leistenarterie (A. femoralis) ein flexibler Katheter in die Halsschlagader (A. carotis interna) plaziert und ein kurzwirksames Betäubungsmittel entweder in die rechte oder linke Halsschlagader injiziert. Die jeweilige Hemisphäre wird so für wenige Minuten betäubt und die Sprachfunktion der anderen Seite mittels Präsentation bestimmter Gegenstände und anderer neuropsychologischer Tests untersucht. Das Verfahren wurde routinemäßig bei Temporallappeneingriffen zum einem zur Bestimmung der Sprach-Hemisphäre verwendet. Hierzu kann heute jedoch die funktionelle Kernspintomographie (fMRT) eingesetzt werden, die einfacher und ungefährlicher ist.
Die heutige Bedeutung des Amobarbital-Tests besteht darin, die Gedächtnisfunktion für jede Hemisphäre getrennt zu untersuchen. Stellt sich hierbei heraus, daß die Gedächtnisleistung auf der Gegenseite zur geplanten Resektionseite schwach ist, so stellt dies ein Operationsrisiko dar. Die neuropsychologische Untersuchung in Kombination mit dem Wada-Test hilft somit, postoperative Gefahren für Leistungseinbußen zu erkennen.


Invasives EEG-Video-Monitoring

Wenn sich mittels nicht-invasivem EEG-Video-Monitoring der Anfallsursprung nicht hinreichend sicher darstellen läßt oder wenn die Befunde der verschiedenen Zusatzuntersuchungen sich widersprechen, gelingt mit der invasiven EEG-Diagnostik häufig doch noch die exakte Lokalisation des epileptogenen Areals. Hierbei kommen folgende Techniken zur Anwendung:
Nur wenn mittels nicht-invasivem EEG-Video-Monitoring eine klare Hypothese zur Plazierung der invasiven Elektroden entwickelt wurde, kommen diese zum Einsatz. Bei der Verwendung von invasiven Elektroden muß man sich allerdings im Vorfeld bereits eine klare Vorstellung darüber gemacht haben, wo sie plaziert werden sollen, um das vermutete epileptogene Areal nachweisen zu können. Die Gründe hierfür liegen darin, daß diese Elektroden zum einen nur über umschriebenen Hirnarealen eingesetzt werden können und sie zum anderen mit den Risiken eines operativen Eingriffs (Blutung, Infektion) behaftet sind.

  • Liegt eine Ein- oder eine beidseitige Schläfenlappenepilepsie vor ?

und

  • Handelt es sich um eine einseitige Schläfenlappenepilepsie oder gehen die Anfälle von Hirnregionen außerhalb des Schläfenlappens aus?


Bei Patienten mit Schläfenlappenepilepsie, die die größte Gruppe der operabelen Epilepsien darstellen, können sich (bei etwa 15% der Patienten) im Oberflächen-EEG zum Beispiel über beiden Schläfenlappen Veränderungen darstellen. Falls die bildgebenden Verfahren (MRT und eventuell PET) in solchen Fällen keine eindeutige Seitenhinweise liefern, kann mit auf beide Seiten angebrachten (bitemporalen) Tiefen- oder Streifenelektroden z. B. untersucht werden, ob die Anfälle von einer Seite ausgehen und die Veränderungen der Gegenseite sekundär weitergeleitet wurden. Wenn dies der Fall ist, kommt eine Schläfenlappenteilresektion in Frage. Bei anderen Patienten gelingt der Nachweis von EEG-Veränderungen während eines Anfalls mittels Oberflächenelektroden nicht, wie zum Beispiel bei einem Teil der Patienten mit Herdbefunden außerhalb des Schläfenlappens.
Ein weitere Anwendung finden invasive EEG-Elektroden in der Ableitung von Hirnaktivität an den Rändern der bereits entfernten Hirnregion während der Operation. Dem Operateur kann das Fehlen von EEG-Veränderungen unter Umständen einen zusätzlichen Anhalt dafür geben, dass kein potentiell anfallsauslösendes Hirngewebe in den Randzonen des Resektionsgebietes verblieben ist.

Die elektrische Stimulation der Hirnrinde (Kortex), die zur gleichen Zeit wie die Ableitung durchgeführt werden kann, dient bei der Planung eines epilepsiechirurgischen Eingriffs der Identifizierung von funktionell wichtigem Hirnrindenanteilen in Abgrenzung vom eigentlichen anfallsauslösendem Areal. Sie wird in der Regel bei Epilepsien angewendet, die von Hirnarealen außerhalb des Schläfenlappens ausgehen. Sie kann sowohl extraoperativ mit über Tage bis Wochen implantierten unterhalb der harten Hirnhaut liegenden Elektroden als auch intraoperativ d. h. während der Operation durchgeführt werden.

Diese sehr aufwendigen Verfahren werden nur beim Minderheit der Patienten (ca. 20%) benötigt und nur in wenigen speziellen Zentren durchgeführt. In Mainz ist dieses Verfahren noch nicht routinemäßig eingeführt und befindet sich in der Entwicklung. Sollte bei Patienten eine Indikation bestehen, so ist eine Zuweisung in weiterführende Zentren, mit denen enger Kontakt besteht, jederzeit möglich.