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Programmierter Zelltod bei Morbus Crohn

Wissenschaftler der Universität Erlangen entdecken in Zusammenarbeit mit Mainzer Wissenschaftlern einen Schalter, der Darmzellen in den Selbstmord treibt

Mehr als 300.000 Menschen in Deutschland leiden an chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa. Die Betroffenen leiden zum Teil ihr Leben lang unter immer wiederkehrenden heftigen Bauchschmerzen, Durchfällen und Krämpfen – in Folge der Krankheit besteht zudem ein erhöhtes Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Weil die Krankheitsursache trotz weltweiter Forschungsanstrengungen weitgehend unklar ist, haben Wissenschaftler an der Medizinischen Klinik 1 der Universitätsklinik Erlangen in Zusammenarbeit mit ihren Kooperationspartnern vom Institut für Immunologie der Universitätsmedizin Mainz und der University of California, La Jolla, die molekularen Mechanismen erforscht, die zu solchen Darmerkrankungen führen. Bei ihren Untersuchungen stellten sie fest, dass das Fehlen eines bestimmten Enzyms verstärkt zu einem Absterben von Zellen im Darm führt. Durch diesen übermäßigen Zelltod entstehen Lücken in der Epithelschicht – einer Zellschicht, die die Darmwand eigentlich vor dem Eindringen von schädlichen Bakterien schützen soll. Eine Entzündung der Darmschleimhaut ist die Folge. Die Ergebnisse veröffentlichte das Forschungsteam um die Erlanger Wissenschaftler Claudia Günther und Prof. Dr. Christoph Becker am 15. September 2011 in der renommierten Fachzeitschrift Nature.

„Im Mittelpunkt unserer Arbeiten stand das Enzym Caspase-8“, erläutert Christoph Becker, der eine Professur für Molekulare Gastroenterologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg innehat und das Forschungsprojekt leitet. „Am experimentellen Modell und an betroffenen Patienten haben wir die Rolle untersucht, die dieses Enzym bei der Entstehung entzündlicher Darmerkrankungen spielt. Caspase-8 ist ein für unseren Körper äußerst wichtiges Enzym. Es steuert die Apoptose, eine Art ‚Selbstmordprogramm’, das die Zellzahl im Darm regelt und gleichzeitig gewährleistet, dass alternde Zellen ohne Schädigung des umliegenden Gewebes zugrundegehen“, so Becker weiter.

„Ist in den Epithelzellen Caspase-8 nicht ausreichend vorhanden oder die Funktion des Proteins gestört, müsste das dazu führen, dass die Zellen im Darm länger leben – so unsere Ausgangsüberlegung“, sagt Diplom Biologin Claudia Günther, die ihre Doktorarbeit an der Medizinischen Klinik 1 schreibt. Doch zur großen Überraschung der Forscher erwies sich diese Überlegung als unzutreffend. Im Gegenteil: Epithelzellen, denen Caspase-8 fehlte, waren besonders anfällig für Zelltod. Besonders betroffen waren die so genannten Panethzellen, spezialisierte Epithelzellen, die Stoffe produzieren, mit denen sie Bakterien auf Distanz halten oder sogar abtöten können. „Fehlen diese Zellen, so können Bakterien in die Darmwand eindringen und Entzündungsreaktionen, wie bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen auslösen“, erläutert Günther. Die absterbenden Darmzellen zeigten dabei völlig andere Eigenschaften als Zellen, die aufgrund von Apoptose sterben. „Die in unseren Experimenten beobachteten Zellen starben an Nekroptose, einer erst kürzlich entdeckten Form von Zelltod, den wir nun erstmals im Darm von Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen nachweisen konnten“, sagt Prof. Becker. „Die Entdeckung, dass Panethzellen im Darm aufgrund von Nekroptose absterben ist ein wichtiger Schritt zum Verständnis der Entstehung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen“, so Becker weiter, der bis vor zwei Jahren noch an der Universitätsmedizin Mainz forschte und für seine dort durchgeführten Arbeiten im Jahr 2007 zusammen mit Dr. Stefan Tenzer vom Institut für Immunologie den renommierten Boehringer-Ingelheim-Forschungspreis erhielt.

Schon damals wurde eine enge Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsgruppen begründet, die auch heute noch fortbesteht und deren Ergebnisse einen Beitrag zur Aufklärung der in der Arbeit untersuchten Mechanismen leisten konnten. Eine wichtige Rolle spielte in diesem Forschungsprojekt die von Dr. Tenzer geleitete „Core Facility für Massenspektrometrie“ am Forschungszentrum Immunologie (FZI) der Universitätsmedizin Mainz. „Der Zugriff auf Spitzentechnologien ist besonders bei der Untersuchung komplexer Erkrankungen von immer größerer Bedeutung. Die Core Facilities des FZI, die mit substantieller Unterstützung der Landesregierung etabliert wurden, sind daher für Forschung auf höchstem Niveau unverzichtbar“, so der Sprecher des FZI, Univ.-Prof. Dr. Hansjörg Schild.

Originalveröffentlichung
Claudia Günther, Eva Martini, Nadine Wittkopf, Kerstin Amann, Benno Weigmann, Helmut Neumann, Maximilian Waldner, Stephen M. Hedrick, Stefan Tenzer, Markus F. Neurath, Christoph Becker: Caspase-8 regulates TNF-alpha induced epithelial necroptosis and terminal ileitis. Nature, DOI: 10.1038/nature10400.

Kontakt
Prof. Dr. Christoph Becker, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Medizinische Klinik 1 - Gastroenterologie, Pneumologie und Endokrinologie
Telefon 09131  85-35886, E-Mail: christoph.becker@uk-erlangen.de

Dr. Stefan Tenzer, Institut für Immunologie
Universitätsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
Telefon 06131  17-6199, E-Mail tenzer@uni-mainz.de

Pressekontakt
Dr. Renée Dillinger-Reiter, Stabsstelle Kommunikation und Presse Universitätsmedizin Mainz,
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Über die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Die Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ist die einzige Einrichtung dieser Art in Rheinland-Pfalz. Mehr als 60 Kliniken, Institute und Abteilungen sowie zwei Einrichtungen der medizinischen Zentralversorgung – die Apotheke und die Transfusionszentrale – gehören zur Universitätsmedizin Mainz. Mit der Krankenversorgung untrennbar verbunden sind Forschung und Lehre. Rund 3.500 Studierende der Medizin und Zahnmedizin werden in Mainz kontinuierlich ausgebildet. Weitere Informationen im Internet unter www.unimedizin-mainz.de