Arbeitsgruppe "Evolutionäre Biochemie und Redox-Medizin"

Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Bernd Moosmann

Die Biochemie des Menschen ist ein Produkt evolutionärer Anpassungen. Wir versuchen, neurodegenerative Erkrankungen und die biologische Alterung besser zu verstehen, indem wir die evolutionären Wurzeln der dabei betroffenen biochemischen Prozesse untersuchen. Insbesondere interessieren wir uns für Veränderungen im Genom und Proteom, unkontrolliert ablaufende Oxidationsreaktionen (Oxidativer Streß) und die Entstehung gesundheitlich nachteiliger Stoffwechselinteraktionen.

Unsere Projekte:

1. Oxidative und nutzungsabhängige Neurodegeneration

Bei vielen neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimerschen Krankheit lassen sich biochemische Belege für oxidativen Streß und eine fehlerhafte Redox-Regulation finden. Es ist jedoch in den meisten Fällen bisher nicht gelungen zu beweisen, daß oxidativer Streß in der Tat auch eine kausale Rolle bei der Krankheitsentstehung spielt. Eine Möglichkeit eines solchen Beweises bestünde in dem Nachweis, daß Antioxidantien präventiv oder therapeutisch wirksam sein können. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit liegt deshalb auf dem rationalen Design neuroprotektiver Antioxidantien, wozu wir Erkenntnisse aus der Naturstoffchemie mit computerbasierten quantenchemischen Methoden kombinieren.

Weitere Schwerpunkte dieses Projekts, welches in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Prof. Christian Behl (dieses Institut) durchgeführt wird, sind die systematische Analyse der biochemischen Schadmuster im jungen, alten und erkrankten Gehirn sowie die Untersuchung des möglichen Einflusses der Neurotransmission auf diese Schadmuster. Kliniknahe Aspekte des Projekts werden in enger Kooperation mit Prof. Kristin Engelhard und Prof. Christian Werner (Klinik für Anästhesiologie) bearbeitet.

  • Sohre S, Moosmann B (2018). The pathological hallmarks of Alzheimer’s disease derive from compensatory responses to NMDA receptor insufficiency. BioRxiv 418566.

  • Baeken MW, Moosmann B, Hajieva P (2020). Retrotransposon activation by distressed mitochondria in neurons. Biochem. Biophys. Res. Commun. 525, 570-575.

  • Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (2021). Prooxidative chain-transfer agents for use in the treatment of malignant tumour or infectious diseases. PCT Int. Appl. (2021), 44 pp., WO 2021/105435.

  • Heymans V, Kunath S, Hajieva P, Moosmann B (2021). Cell culture characterization of prooxidative chain-transfer agents as novel cytostatic drugs. Molecules 26, 6743.

    Oskar-Fischer-Preis für Bernd Moosmann

    Mehr zum Oskar-Fischer-Preis für Alzheimerforschung von der UTSA

2. Evolutionäre Proteom-Biochemie

Proteine
Atmungskettenkomplexe unterschiedlicher Spezies weisen bei weitgehend identischer Globalstruktur (schwarz) sehr unterschiedliche Gehalte an redox-aktiven Aminosäuren auf, wie hier am Beispiel des Methionins (rot) für das Cytochrom b eines Federsterns (links) und einer Biene (rechts) gezeigt. Diese differentielle Verwendung von Aminosäuren bedingt eine sehr unterschiedliche chemische Stabilität der betroffenen Proteine.

Die Sequenzierung vieler vollständiger Genome in den letzten beiden Jahrzehnten hat zu einer Fülle an molekularen Daten über alle Arten des Lebens geführt. Die funktionelle und vergleichende Interpretation dieser Daten steht jedoch bislang in keinem Verhältnis zur akkumulierten Datenmenge.

Durch komparatistische Ansätze auf Genom- und Proteomebene versuchen wir, aus diesen Daten neue und generelle Aussagen über die Evolution des Lebens abzuleiten. Unser besonderes Interesse gilt hierbei der Evolution des genetischen Codes, der Entstehung der Aminosäuren und der aus ihnen abgeleiteten Coenzyme sowie der Rolle, die molekularer Sauerstoff bei diesen Prozessen gespielt hat. Wir vermuten, daß evolutionär frühe Mechanismen der biochemischen Anpassung auch heute noch wirksam sind und im Menschen ursächlich für bestimmte Krankheitsausprägungen und den Alterungsprozeß sein könnten.

  • Granold M, Hajieva P, Tosa M, Irimie FD, Moosmann B (2018). Modern diversification of the amino acid repertoire driven by oxygen. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 115, 41-46.

    Ein Kurzbericht aus "Newsweek Online"

    Ein Hintergrundartikel aus "Chemistry World"

  • Kunath S, Moosmann B (2020). What is the rate-limiting step towards aging? – Chemical reaction kinetics might reconcile contradictory observations in experimental aging research. Geroscience 42, 857-866.

  • Moosmann B, Schindeldecker M, Hajieva P (2020). Cysteine, glutathione and a new genetic code: Biochemical adaptations of the primordial cells to spread into the open water and survive biospheric oxygenation. Biol. Chem. 401, 213-231.

  • Kunath S, Schindeldecker M, De Giacomo A, Meyer T, Sohre S, Hajieva P, von Schacky C, Urban J, Moosmann B (2020). Prooxidative chain transfer activity by thiol groups in biological systems. Redox Biol. 36, 101628.

  • Moosmann B (2021). Redox biochemistry of the genetic code. Trends Biochem. Sci. 46, 83-86.

  • Moosmann B (2021). Flux control in the aging cascade. Aging 13, 6233-6235.

3. Cholesterol, der Mevalonatweg und die Selenoprotein-Synthese

Schema
Der vom Acetyl-CoA ausgehende Stoffwechselweg zum Cholesterol (Mevalonatweg) stellt auf mehreren Stufen auch essentielle Zwischenprodukte für andere biochemische Synthesen im menschlichen Körper bereit. Hierzu gehören die Synthese des Ubichinons (Coenzym Q) und der Selenocystein-tRNA, ohne die das essentielle Spurenelement Selen vom Körper nicht verwertet werden kann. Cholesterolsenkende Medikamente vom Statin-Typ hemmen nicht nur die eigentliche Cholesterolsynthese, sondern den gesamten Mevalonatweg auf einer frühen Stufe, was deren überraschend vielfältige klinische Wirkungen erklären könnte.

Cholesterolsenkende Pharmaka vom Statin-Typ gehören zu den weltweit am häufigsten verschriebenen Medikamenten. Während ihr genereller Nutzen in der Prävention kardiovaskulärer Symptomatiken gut dokumentiert ist, gibt es überraschenderweise keinen Konsens darüber, auf welche Weise die Statine ihre positiven Effekte hervorrufen, da ihr primärer cholesterolsenkender Effekt allenfalls teilweise ihre klinische Wirkung erklären kann. In ähnlicher Weise unverstanden ist die Assoziation des Cholesterols mit einer Vielzahl weiterer Erkrankungen jenseits des kardiovaskulären Systems.

Wir vermuten, daß ein komplexer modulatorischer Effekt der Statine auf die Selenoprotein-Synthese die Ursache sowohl für einige der erwünschten klinischen Effekte der Statine wie auch für ihre unerwünschten Nebenwirkungen ist. Dieser Arbeitshypothese gehen wir in verschiedenen zellulären und genetischen Modellen nach.

  • Kromer A, Moosmann B (2009). Statin-induced liver injury involves cross-talk between cholesterol and selenoprotein biosynthetic pathways. Mol. Pharmacol. 75, 1421-1429.

  • Fuhrmeister J, Tews M, Kromer A, Moosmann B (2012). Prooxidative toxicity and selenoprotein suppression by cerivastatin in muscle cells. Toxicol. Lett. 215, 219-227.