Eskalation, Erhaltung, Enthaltung: Ethisch fundierte Strategien zur partizipativen Abwägung von Risiken und Nutzen therapeutischer Konzepte bei gynäkologischen Tumoren und beim kolorektalen Karzinom
Leitung
- Univ.-Prof. Dr. rer. medic. Norbert W. Paul, M.A. (federführend)
- Univ.-Prof. Dr. med. Annette Hasenburg
- Prof. Dr. med. Markus Möhler
Bearbeiter
- Univ.-Prof. Dr. rer. medic. Norbert W. Paul, M.A.
Kontakt
Förderung
- Gefördert durch die Deutsche Krebshilfe gGbmH
Laufzeit
Projektbeschreibung
Am 17. Dezember 2019 hat das Robert-Koch-Institut für das Jahr 2020 die Zahl neu diagnostizierter Tumorerkrankungen in Deutschland auf 510.000 geschätzt. Krebs der Brustdrüse, der Prostata, des Dickdarms und der Lunge bilden dabei die vier häufigsten Entitäten. Die Diagnose Krebs ist stets auch eine Grenzerfahrung menschlichen Lebens und die Biographie Betroffener wird in ihrer Zeitlichkeit, Körperlichkeit und der Fähigkeiten oft fundamental verändert. Dem vor diesem Hintergrund verständlichen Wunsch, die Erkrankung radikal zu bekämpfen, stehen moderne Konzepte der Erhaltungstherapie oder der therapeutischen Enthaltungen gegenüber. So stehen Therapiezielentscheidungen regelhaft in einem Spannungsfeld aus medizinisch-wissen- schaftlicher Expertise einerseits und lebensweltlichen Einschätzungen und Werthaltungen andererseits. Besonders durch Erweiterungen und Differenzierungen im Bereich therapeutischer Strategien in der Tumormedizin bis hin zu einer starken Individualisierung wird der Ausgleich zwischen unterschiedlichen Präferenzen und verschiedenen Normen zu einer spezifischen Herausforderung. Ärztinnen und Ärzte müssen gemeinsam mit Ihren PatientInnen etwa vor dem Hintergrund neuer, innovativer inter- disziplinärer Konzepte möglicher kurativer Therapien, wie bei kolorektaler Metastasen-Chirurgie oder intensiver Chemotherapie als Down-Staging bis hin zur Option der Immuntherapie als langfristige Erhaltung bei Mikrosatelliten-Instabilen Patienten schwerwiegende Therapieentscheidungen zwischen Eskalation, Erhaltung oder Enthaltung treffen. Das Projekt will in einem "mixed-methods"-Ansatz
- eine theoriegeleitete ethische Analyse von Werthaltungen im Kontext menschlicher Grenzerfahrungen mit Krebs durchführen und auf dieser Basis
- eine qualitativ-empirische Untersuchung durch semi-strukturierte Interviews mit von Mammakarzinomen und kolorektalen Tumoren Betroffenen durchzuführen, um Werthaltungen, individuelle Therapieziele und positive wie negative Erwartungen zu rekonstruieren und diese
- durch Interviews mit klinischen Experten und deren evidenzbasierten Einschätzungen zu komplementieren wobei medizinische Präferenzen und praktische Rationalität durch eine Projektion der qualitativen Studienergebnisse auf eine Matrix patientenbezogener Outcomes (patient oriented outcome measures, kurz: PROMs) in ihrer lebensweltlichen Reichweiteanalysiert werden.
Die Ziele des Projekts bestehen dabei
- im Abgleich universeller (ethischer) Konzepte vom gelingenden Leben mit partikularen bzw. situativen (lebensweltlichen) Werthaltungen betroffener Patientinnen und Patienten einerseits und professionellen, evidenzbasierten (medizinisch-wissenschaftlichen) Präferenzen andererseits in einem dynamischen Modell;
- in der Etablierung einer Strategie zur patientenzentrierten Adjustierung der klinischen Be- wertung von therapeutischen Konzepten der Eskalation, Erhaltung oder therapeutischen Enthaltung anhand der exemplarischen Entitäten der gynäkologischen Tumore mit überwiegend jungen und der kolorektalen Tumore mit Betroffenen in einem überwiegen höheren Lebensalter;
- in der Modellierung einer gut operationalisierbaren klinischen Strategie der Therapie- zielfindung, in der durch einen spezifischen Ansatz rekonstruktiver klinischer Ethik die Integration individueller und situativer Werthaltungen von Patientinnen und Patienten in einem partizipativen, verlaufsdynamischen Prozess der Entscheidungsfindung ermöglicht wird;
- der Vermittlung dieser Strategie einschließlich ihrer klinisch-onkologischen, ethischen und kommunikativen Voraussetzungen im Rahmen von fallbasierter medizinischer Aus- und Weiterbildung.